Und dann der Himmel
deprimierenden Beisetzungsfeierlichkeiten, wo es nur noch um das Vergraben einer leeren Hülle geht.“
Rafaels Wortwahl macht mich ganz nervös. Sie klingt nach vorprogrammiertem Ärger.
Der Priester scheint nicht viel Übung zu haben, wahrscheinlich ist er noch nicht lange ordiniert, denn er verhaspelt sich wiederholt bei seiner kurzen Ansprache und sieht fürchterlich angespannt aus. Immer wieder bleibt sein Blick an Rafael hängen und anschließend wirken seine Worte noch unsicherer, als erwartete er aus dieser Richtung genau wie ich jeden Augenblick eine Störung.
Auch den anderen fällt die Nervosität des Geistlichen auf. „Was ist los mit dem Mann?“ fragt Sabine leise, die mit meiner Mutter und Simon hinter mir steht. „Er sieht aus, als würde er sich gleich in die Hose machen!“
„Manche Priester spüren die Anwesenheit des Göttlichen, wenn wir in der Nähe sind“, flüstert Rafael. „Das bringt das jahrelange Beten mit sich.“
„Was für ein Quatsch“, sage ich. „Außerdem hast du nichts Göttliches an dir, eher etwas Wahnsinniges. Wahrscheinlich spürt er nur, dass du auf Ärger aus bist.“
In der Rede des Priesters fallen die üblichen Worte von Anfang und Ende und einem immer währenden Kreislauf und die Bitte an Gott, er möge die verstorbene Seele in seiner Gnade zu sich holen. Ich spüre, wie Rafael neben mir unruhig wird.
„Tu bitte nichts Unüberlegtes!“ flehe ich ihn an. „Hör einfach zu und halt dich zurück!“
Dem Ablauf einer ungestörten Beisetzung droht jedoch aus einer ganz anderen Ecke Gefahr. Meine Mutter, die schon die ganze Zeit den auf Hochglanz polierten und ziemlich protzig aussehenden Sarg beäugt hat, nutzt diesen kritischen Augenblick, um uns zu informieren, dass es mittlerweile auch ökologisch abbaubare Pappsärge gibt. Leider ist ihr Flüsterton so laut, dass die Trauergemeinde ebenfalls in den Genuss ihrer Ausführungen kommt und sie ungläubig anstarrt. „Es ist wahr!“ verteidigt sie sich. „Ich habe neulich so eine Broschüre im Briefkasten gehabt. Man kann den Pappsarg in Selbstmontage zusammenbauen wie einen Ikea -Schrank oder eines dieser Faltpakete von der Post, und er verrottet wesentlich schneller als ein normaler Holzsarg. Sehr umweltfreundlich!“
„Das ist jetzt nicht der richtige Zeitpunkt, um deine neue Öko-Philosophie unters Volk zu bringen!“ versuche ich sie zum Schweigen zu bringen. Meine Mutter sieht mich beleidigt an.
Der ältere Herr im Rollstuhl beäugt sie mit einem unfreundlichen Gesichtsausdruck. „Und was ist bei Regen?“ fragt er dann unvermittelt. „Dann weicht das ganze Zeug auf, der Boden reißt und die Leiche knallt auf dem Weg von der Kapelle zum Grab auf den Boden! Neumodischer Schnickschnack!“ Er deutet auf den Sarg. „Der alte Kertmaier da drin hätte für so etwas jedenfalls nichts übrig gehabt. Der wollte unbedingt Mahagoni!“
Der Priester hat mittlerweile rote Flecken im Gesicht. Ganz offensichtlich entgleitet ihm die Regie dieser Beerdigung mehr und mehr. „Ich bitte mir jetzt zum letzten Mal Ruhe aus!“ herrscht er uns an. Seine Hände zittern, als er den im Hintergrund stehenden Friedhofsangestellten die Anweisung gibt, den Sarg in das ausgehobene Loch zu senken. Die Trauergäste werfen uns mittlerweile Blicke zu, die man selbst mit gutem Willen nur als feindselig bezeichnen kann. Ganz offensichtlich sind wir hier nicht erwünscht – etwas, das ich gut nachvollziehen kann.
Während der Sarg nach unten gelassen wird, tritt einen Moment lang wieder Stille ein. Auch ich bin ergriffen, denn es ist immerhin meine erste richtige Beerdigung, und den Anblick einer in der Erde versinkenden Holzkiste finde ich gruselig, auch wenn sie aus Mahagoni ist. Ich muss an die Fridoline I. bis XIII. denken, die ich immer in einer Margarineschachtel im nächstgelegenen Blumenbeet beigesetzt habe. Eine der jungen Frauen mit Kinderwagen fängt hemmungslos an zu weinen, vielleicht ist sie die Tochter oder Enkelin des Verstorbenen und kann erst jetzt ihren Verlust richtig begreifen.
Der alte Mann beugt sich wieder zu uns. „Keinen Pfennig hat ihr der alte Sack hinterlassen“, klärt er uns mit einem selbstzufriedenen Gesichtsausdruck auf. „Das Kind hat sie sich nämlich von einem Marokkaner andrehen lassen, der vor zwei Monaten abgeschoben worden ist! Das Geld bekommt jetzt der Jagdhornblasverein.“
Eine heftige Windböe verschlägt plötzlich die Seiten des liturgischen Leitfadens, an den sich der
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