Und dann der Himmel
betreten aus.
„Was macht ihr denn hier?“ zische ich sie an. „Ihr solltet doch im Café auf uns warten!“
„Uns war … äh … langweilig“, erklärt Simon stotternd und sieht dabei hilfesuchend meine Schwester an. „Außerdem wollte die Kellnerin dem Hamster kein Salatblatt geben.“ Er deutet verdrossen auf den Käfig, den er in der Hand hält.
„Eine unverschämte Person“, fügt meine Mutter schnell hinzu. „Sie behauptet, Nagetiere seien aus hygienischen Gründen nicht im Café erlaubt. Sie könnten Krankheiten übertragen. Dabei hat sie selber Dreck unter den Fingernägeln gehabt.“
Ich werde plötzlich misstrauisch. Etwas an dieser Geschichte gefällt mir nicht. Sie klingt erfunden, als wäre sie auf die Schnelle einstudiert worden. Dann bemerke ich, dass der Hamsterkäfig leer ist.
„Wo ist Fridolin XIV.?“
Verlegenes Schweigen antwortet mir. Schließlich sagt Sabine mit gesenktem Blick: „Es … es hat einen kleinen Zwischenfall gegeben, Marco. Du musst jetzt tapfer sein. Simon …“
„Es war nicht meine Schuld!“ schreit mein Neffe dazwischen. „Ich wollte ihm nur ein Stück von meinem Brötchen geben! Adolf ist schuld!“
„Was hat Adolf mit dem Hamster zu tun?“ frage ich verwirrt. „Ich verstehe kein Wort!“
Als die Dogge ihren Namen hört, robbt sie mit gesenktem Kopf auf mich zu, wie ein reuiger Sünder, der um Vergebung bettelt, und schlabbert über meine sowieso noch nassen Schuhe. Dabei winselt sie leise. Die Augen der Trauergemeinde sind mittlerweile alle auf das Spektakel gerichtet, das sich am Rand abspielt.
Mit einer bösen Vorahnung reiße ich Simon den Käfig aus den Händen und spähe in das kleine Hamsterhäuschen, in das sich Fridolin tagsüber zum Schlafen zurückzieht. Es ist leer. Der Hamster ist verschwunden.
„Wo ist Fridolin?“ wiederhole ich. „Was ist passiert?“
„Dein Hamster befindet sich im Magen deines Hundes“, platzt meine Mutter schließlich mit der brutalen Wahrheit heraus. „Adolf hat ihn gefressen.“
„Was?“ frage ich ungläubig und weiche unwillkürlich einen Schritt zurück. Adolf beginnt, lauter zu winseln.
„Wir sind aus dem Café rausgeflogen. Wir haben jetzt Hausverbot!“ versorgen mich Simon und Sabine mit weiteren bruchstückhaften Informationen. Fast scheint mein Neffe ein wenig stolz darauf zu sein, als könnte ein Lokalverweis den Makel des Hoseneinnässens in seinem Lebenslauf wieder wettmachen.
Ich sehe meine Schwester an und fordere eine ausführlichere Erklärung. In Gedanken nehme ich mir vor, diesen Tag im Kalender schwarz anzustreichen. Zwei Todesnachrichten innerhalb weniger Minuten – schlimmer kann es doch eigentlich nicht mehr kommen.
Sabine erklärt zögernd, dass ihr Sohn nicht ganz Unrecht gehabt habe mit seinem Erklärungsversuch. Tatsächlich wollte er Fridolin nur ein paar Krümel von seinem Brötchen in den Käfig legen, doch anstatt sie einfach durch die Gitterstäbe zu streuen, öffnete er die Käfigtür – was sich als ein fataler Fehler erwies. Der Hamster, durch die Unruhe und die Aufregungen der letzten Tage ähnlich wie ich wahrscheinlich an Schlafmangel oder einer beginnenden Neurose leidend, nutzte die Gelegenheit und schoss wie eine Rakete aus dem Käfig heraus, plumpste mit einem ängstlichen Fiepen vom Tisch und raste einmal quer durch das Café, auf der Suche nach einem etwas weniger rastlosen Zuhause. Sein schlecht durchdachter Fluchtversuch rief allerdings Adolf auf den Plan, der bis zu diesem Zeitpunkt friedlich unter dem Tisch zwischen den Füßen meiner Mutter vor sich hingedämmert hatte. Da ich es bisher versäumt hatte, ihn mit Fridolin näher bekannt zu machen, sah der Hund nur etwas Kleines, Nagetierartiges an sich vorbeiflitzen, das in Sekundenschnelle einen Killerinstinkt in ihm wachrief, von dem Sabine gar nicht geglaubt hätte, dass er ihn besitzt. Dabei hätte sie nach dem Vorfall mit den Heidschnucken eigentlich gewarnt sein müssen. Jedenfalls vergaß die Dogge, wo sie sich befand, sprang von ihrem Schlafplatz auf und ergab sich ihrem Jagdtrieb. Das Chaos, das daraufhin ausbrach, wurde vor allen Dingen durch das zufällige Zusammentreffen einer physischen und einer räumlichen Unvereinbarkeit ausgelöst: Adolf ist groß und das Café war klein und eng bestuhlt. Dass die Dogge bei der Verfolgung des vermeintlichen Ungeziefers Stühle umwarf, gegen Tische prallte und die Gaststätte innerhalb weniger Sekunden in ein Tollhaus verwandelte, war somit
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