Und dann der Himmel
taumeln, rudert plötzlich hilflos mit den Armen und kippt dann mit einem überraschten Schrei nach hinten. Der Lächerlichkeit preisgegeben, landet er mit einem Plumps auf dem Rücken und hat plötzlich nur noch Ähnlichkeit mit einem Käfer, der mit allen Gliedmaßen strampelt, um wieder auf die Beine zu kommen.
Dieses etwas unrühmliche Finale von Rafaels Vorstellung beendet auch die Erstarrung der Menschen, die Zeugen des Schauspiels waren.
Ich renne zu Rafael, um ihm aufzuhelfen, während hinter mir das Chaos ausbricht. Stimmen brüllen, Leute laufen durcheinander, die Babys in den Kinderwagen fangen an zu schreien, jemand zerrt an meiner Jacke, einer der Jagdhornbläser stößt ein Halali in sein Instrument, das weithin über den Friedhof schallt und die Vögel aus den Kronen der Bäume stieben lässt. Nur der Priester ist auf die Knie gefallen und betet laut und mit geschlossenen Augen, dass ihn Gott von dieser Versuchung befreien möge.
„Keine Sorge“, rufe ich ihm zu, während sich Rafael langsam und etwas benommen aufrappelt, „genau das habe ich vor!“
Rafael stützt sich an mir ab und unsere Blicke treffen sich. Trotz seines nicht geplanten Sturzes lachen seine Augen und im ersten Moment kann ich nicht begreifen, warum Rafael so fröhlich ist, schließlich hat er sich vor so vielen Menschen bis auf die Knochen blamiert. Erst als ich genauer hinsehe, erkenne ich in Rafaels Augen ein Kind, das vor Vergnügen kräht und wahre Freudentänze aufführt.
„Ich bin stolz auf dich“, raunt der Engel mir grinsend zu.
„Wieso?“
„Du hast dich nicht abgewandt; du beginnst dazuzulernen.“
Bevor ich mir Gedanken über diese Feststellung machen und mich fragen kann, was Rafael damit gemeint hat, scharen sich meine Mutter, Simon, meine Schwester mit Annika auf dem Arm und Adolf um uns, und nachdem sich Rafael den Schmutz von den Kleidern und seinen Flügeln geklopft hat, fangen wir wie auf ein stummes Kommando an zu laufen. Wir rennen mit keuchendem Atem und fliegendem Puls, bis wir die Friedhofsmauern hinter uns gelassen haben, biegen um die Ecke, sehen durch die großen Fensterscheiben die zerstörte Inneneinrichtung des Cafés und rennen weiter, so schnell wir können. Zwischendurch fängt meine Schwester an zu kichern und meine Mutter schüttelt den Kopf und prustet los, bis sie Seitenstiche vor Lachen hat, die Dogge kläfft aufgeregt, aber wir laufen weiter, rempeln Passanten an und missachten Fußgängerampeln und quietschende Autoreifen, bis wir endlich unseren rettenden Wagen erreichen und uns völlig erschöpft auf die Sitze fallen lassen. Dann gibt es kein Halten mehr. Wir wiehern und gackern, lachen hysterisch, schlagen uns auf die Schultern und halten uns aneinander fest, bis uns die Rippen wehtun, wir völlig heiser sind und uns die Tränen die Wangen herunter laufen. Es dauert Minuten, bis wir uns wieder soweit im Griff haben, dass wir ans Weiterfahren denken können.
Meine Schwester ist die Erste, die ihren Empfindungen Ausdruck verleihen kann. „Du bist ein Idiot, Rafael!“ sagt sie kopfschüttelnd, wie sie es schon so oft zu mir gesagt hat, aber diesmal klingt es aus ihrem Mund wie ein Kompliment – als wäre Rafael damit endgültig in unsere Familie aufgenommen. Auch meine Mutter zwinkert Rafael zu.
Mich machen Sabines Worte eher traurig, denn sie rufen mir ins Gedächtnis, dass Rafael eben dies nie sein wird: ein Mitglied meiner Familie. Unsere Wege werden sich schon bald trennen. Seine Zeit als mein Begleiter ist fast vorüber und ich muss mir eingestehen, dass ich mich an ihn gewöhnt habe. Wenn er weg ist, werde ich wieder allein sein. Der Ärger über Rafael, den ich in den letzten Tagen häufig verspürt habe, hat sich in Luft aufgelöst wie der Rauch eines nächtlichen Lagerfeuers.
Seufzend klemme ich die Plastikrose von Philipps Grab hinter den Rückspiegel. „Bist du sicher, dass du fahren kannst?“ frage ich Rafael, der sich ganz selbstverständlich wieder hinter das Steuer gesetzt hat.
„Ja.“
„Dann drück aufs Gaspedal, gefallener Engel“, sagt meine Schwester. „Bevor die Spur der Verwüstung, die wir hinter uns herziehen, noch größer wird!“
Sabines Kommentar bringt uns erneut aus der Fassung und so dauert es doch noch eine ganze Weile, bis Rafael den Motor startet und wir unsere Reise fortsetzen können.
Nachdem wir auf die Autobahn aufgefahren sind, lassen sich die anderen vom monotonen Fahrgeräusch einlullen, bis nur noch Rafael und ich wach
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