Und dann der Himmel
„irgendwie stimmt das. Obwohl Marco mich so mies behandelte, habe ich ihn immer noch geliebt, aber ich wusste nicht mehr, was ich machen sollte. Ich habe angefangen, mit den anderen aus seiner WG darüber zu reden, mit Anja, Patrick und Lars. Das hat mir gut getan. Ich habe gehofft, sie könnten mir sagen, wie ich mich verhalten soll, sie kannten ihn schließlich viel länger als ich. Insbesondere Lars war ein geduldiger Zuhörer, ich hatte das Gefühl, er versteht genau, wie ich mich fühle. Außerdem hat er mich zum Lachen gebracht, etwas, was ich bei Marco sehr vermisst habe. Und dann, eines Tages, habe ich wirklich nichts mehr gesehen. Ich habe getan, worauf Marco die ganze Zeit gewartet hat. Ich war mit einem anderen Mann im Bett.“ Finn holt tief Luft. „Mit Lars.“
Rafael reicht Finn die Holzäpfel und Finn nimmt ihm dankbar einen nach dem anderen aus der Hand, hängt sie wahllos an die Zweige des Weihnachtsbaums. Nur wenn er etwas zu tun hat, nur wenn er seine Finger beschäftigen kann, ist er in der Lage, über das zu sprechen, was zwischen ihm und Lars passiert ist.
„Es war an einem Samstagmorgen“, fährt er tonlos fort, „und Marco war mal wieder total mies drauf, weil …“, er stockt kurz und überlegt angestrengt, aber erfolglos, „… keine Ahnung, wieso“, gibt er schließlich resigniert auf. „Jedenfalls hat er nicht mal ‚Guten Morgen‘ gesagt und ist wortlos zur Arbeit gegangen. Ich glaube, er hatte irgendeinen Termin bei dieser Werbefirma, für die er Synchron gesprochen hat. Ich bin in die Küche gegangen, um mir einen Kaffee zu machen, und Lars saß am Küchentisch und blätterte in der Zeitung. Er hat mir einen Stuhl angeboten und mich angelächelt – und da sind bei mir plötzlich alle Dämme gebrochen. Dieses kleine Lächeln, diese selbstverständliche, nichts sagende Freundlichkeit, hat mich völlig fertig gemacht und mir vor Augen geführt, wie aussichtslos meine Hoffnungen sind und dass Marco mich wie ein Stück Dreck behandelt. Ich habe angefangen zu heulen wie ein Schlosshund.
Lars wusste überhaupt nicht, was er machen sollte, und er wusste ja auch gar nicht, was los war, weil ich vor lauter Heulerei kein einziges zusammenhängendes Wort herausbekommen habe. Erst hat er versucht, beruhigend auf mich einzureden, hat mir die Hand getätschelt, damit ich mich wieder fange, aber das hat alles noch viel schlimmer gemacht, und dann hat er mich ziemlich unbeholfen in den Arm genommen, um mich zu trösten. Ich glaube, keiner von uns beiden hat damit gerechnet, dass irgendetwas passieren könnte, aber dann haben wir uns auf einmal geküsst und sind irgendwie in Marcos Zimmer und auf sein Bett geraten. Erst als unsere Klamotten wild verstreut in der Gegend herumflogen und mir klar wurde, dass Lars gar nicht so heterosexuell ist, wie er immer tut, bin ich wieder halbwegs zu mir gekommen. Vielleicht hätte ich in dem Moment noch aufhören können, aber ich habe es so sehr gebraucht, die Nähe eines anderen Mannes zu spüren, zu spüren, dass ich gewollt werde, dass ich es nicht mehr beenden wollte. Ich glaube, ich habe sogar ein bisschen trotzig gedacht: ‚Wenn Marco dich sowieso die ganze Zeit dafür bestraft, dann kannst du es auch tun. Dann hat es sich wenigstens gelohnt.‘“ Finn unterbricht seinen Redeschwall und sieht Rafael unsicher an.
Der Engel hängt die letzte Kugel im Baum auf und sagt: „Und dann ist Marco zur Tür hereingekommen.“
„Ja“, erwidert Finn. „Und dann ist Marco zur Tür hereingekommen. Er hatte irgendwelche wichtigen Unterlagen vergessen und war auf halbem Wege umgekehrt. Ich glaube, er war weniger überrascht darüber, dass ich ihn betrog, sondern dass es Lars war, mit dem ich es tat. Damit hatte er wohl nicht gerechnet. Lars ist aus dem Bett gesprungen, als ob die Matratze unter Strom stehen würde, und hat zu Marco gesagt, er solle sich nicht aufregen, es hätte nichts zu bedeuten, es sei doch nur eine Nummer gewesen. Marco hat nur mit offenem Mund genickt und blieb stumm und wie versteinert stehen, während Lars seine Klamotten aufgesammelt hat und geflüchtet ist. Ich habe versucht, irgendetwas zu sagen, aber ich habe keinen Ton herausbekommen, und dann habe ich doch Marcos Namen gekrächzt, aber er hat mich nur voller Kälte und Verachtung angesehen. Ich habe versucht, ihn zu berühren, und er ist zurückgezuckt, als hätte ich eine ansteckende, Ekel erregende Krankheit. Ich konnte es ihm nicht mal verübeln, ich habe mich wie Abschaum
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