Und dann der Himmel
wieder“, sagte Rafael, und tatsächlich spürte ich nach einem Moment warme Luft an meinen verfrorenen Beinen emporkriechen.
Eine Weile fuhren wir schweigend durch die Landschaft, während ich krampfhaft versuchte, ein wenig Ordnung in meine durcheinander wirbelnden Gedanken zu bringen. Immer wieder warf ich einen ungläubigen und zweifelnden Blick zum Beifahrersitz. Rafael sah vergnügt aus dem Seitenfenster und betrachtete im Licht der untergehenden Sonne die winterlich weißen Felder, auf denen ein paar Vögel herumstaksten. Hin und wieder passierten wir in einiger Entfernung ein Dorf, dessen Häuser und Höfe um einen Kirchturm geschart waren – dann seufzte Rafael zufrieden.
Schließlich hielt ich die Stille nicht mehr aus. „Du bist also ein Engel“, wiederholte ich.
„Du sagst es.“
„Dann erzähl mir ein bisschen vom Himmel.“
„Was willst du wissen?“
Vergeblich versuchte ich mich an den Lehrstoff zu erinnern, der mir im Religionsunterricht vermittelt worden war. „Habt ihr tatsächlich alle einen Heiligenschein?“ war die erste Frage, die mir durch den Kopf schoss. Innerlich ohrfeigte ich mich, dass mir nichts Intelligenteres eingefallen war.
„Nein“, erwiderte Rafael, „nur die Heiligen natürlich. Sonst würde man ja völlig durcheinander kommen.“
„Verstehe, verstehe“, murmelte ich, obwohl ich kein Wort begriff. „Wo ist denn deiner?“
Rafael ignorierte meine Frage und starrte weiter aus dem Fenster. Vielleicht hatte ich etwas Falsches gefragt?
„Und die Hölle?“ probierte ich es erneut.
„Was ist mit ihr?“
„Ich meine, gibt es sie wirklich, die Hölle?“
„Ja, sicher.“
„Und, wie ist es da so?“
„Glaub mir, Marco“, sagte Rafael leise und sah mich plötzlich ganz ernst an, „du möchtest es wirklich nicht wissen. Die Qualen, die die verlorenen Seelen dort leiden müssen, sind unbeschreiblich.“
„Ha!“ erwiderte ich hämisch. Jetzt hatte ich diesen Witzbold bei einem Denkfehler erwischt. „Woher willst du das wissen? Ich denke, du bist ein Engel, also im Himmel zu Hause!“
„Es gibt ein Austauschprogramm“, erklärte Rafael, ohne mit der Wimper zu zucken.
„Ein Austauschprogramm?“ Um ein Haar wäre ich erneut von der Straße abgekommen.
„Klar doch. Man kann nicht über etwas urteilen, was man nicht kennt. Außerdem bin ich ganz gut mit Beelzebub befreundet. Das ist einer der Abteilungsleiter von unten. Wir treffen uns ab und zu auf einen Drink. Es tut ihm ganz gut, wenn er sich nach einem anstrengenden Arbeitstag ein bisschen entspannen kann. Wenn er einen über den Durst getrunken hat, plaudert er schon mal aus dem Nähkästchen. Die stundenlangen Folterungen und das Quälen zerren ziemlich an seinen Nerven.“
„Du verarschst mich!“ sagte ich ungläubig.
„Aber nein!“ protestierte Rafael und sah tatsächlich beleidigt aus. „Er ist übrigens ein großer Fan von Madonna. Er freut sich schon sehr auf sie.“
„Madonna kommt in die Hölle?“
Rafael nickte. „Zusammen mit Michael Jackson. Geschmacksverirrung ist eine große Sünde.“
Ich sah Rafael sprachlos an, bis seine Gesichtsmuskeln zu zucken begannen und er das Lachen nicht mehr unterdrücken konnte. „Tut mir Leid“, sagte er, nachdem er sich beruhigt hatte, „das war ein Witz. Gott richtet über die Menschen erst nach dem Tod und nicht schon vorher.“
Mit quietschenden Reifen hielt ich am Straßenrand. „So, jetzt reicht es!“ sagte ich wütend. „Ich habe zwar keine Ahnung, wer du bist und was du von mir willst, aber ich habe genug von dir! Steig aus meinem Wagen aus und sieh zu, dass du verschwindest! Ich habe keine Lust, mir diesen Bockmist noch länger anzuhören!“
„Du glaubst mir immer noch nicht“, seufzte Rafael enttäuscht.
„Nein!“ brüllte ich ihn an. „Natürlich nicht! Wer kann schon glauben, dass ein verstoßener Engel auf seine Kühlerhaube gefallen ist? Das ist doch absurd!“
„Was würde dich denn überzeugen?“
Ich überlegte. „Ein Beweis“, sagte ich dann trotzig.
„Ah“, nickte Rafael, „so wie damals beim ungläubigen Thomas!“
„Wer?“
Rafael runzelte die Stirn. „Du bist in Glaubensfragen nicht sonderlich bewandert, oder? Thomas war der Jünger, der erst an die Wiederauferstehung glaubte, als er seine Finger in die Wunden legen durfte, die Jesus bei der Kreuzigung erhalten hatte.“
„Igitt!“ erwiderte ich und schüttelte mich. „Geht es nicht ein bisschen weniger drastisch? Ich kann kein Blut
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