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Und dann der Himmel

Und dann der Himmel

Titel: Und dann der Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Stressenreuter
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    „Er hat gesagt, es sei ein Witz gewesen“, zische ich. Lars ist der unsensibelste Mensch, den ich kenne.
    Ich nehme noch eine von Patricks Zigaretten. „Was sollen wir jetzt tun?“ frage ich und blase den Rauch über den Tisch.
    Anja zuckt mit den Schultern. „Wieso wir? Er ist doch dein Freund!“
    „Er ist nicht mein Freund!“ brülle ich. Mein Nervenkostüm ist durch die Ereignisse der letzten Stunden ein wenig dünn geworden. „Er ist … “
    Ja, was ist Rafael eigentlich? Einerseits finde ich seine Geschichte völlig lächerlich und seine Anekdoten aus dem Himmel halte ich für Hirngespinste, wenn auch sehr fantasievolle, und er geht mir tierisch auf die Nerven mit seinem Engel-Getue, aber andererseits … andererseits finde ich ihn ziemlich nett und unterhaltsam. Plötzlich muss ich daran denken, wie ich ihn vorhin auf dem Feldbett schlafend beobachtet habe. Es stimmt, erotisch finde ich ihn auch. Diese schwarzen, undurchdringlichen Augen und diese behaarten Unterarme, die aussehen, als könnten sie wirklich kräftig zupacken … und mit dem Arsch könnte er auch Nüsse knacken. Jedenfalls würde ich ihn nicht von der Bettkante schubsen, wenn sich die Gelegenheit bieten würde und wenn er kein … Engel wäre.
    „Können Engel eigentlich Sex haben?“ rutscht es mir heraus und im nächsten Moment merke ich, wie ich knallrot werde.
    Lars fängt an zu lachen. „Daher weht der Wind!“ sagt er feixend. „Du willst mit ihm in die Kiste!“
    „Ich dachte immer, Engel sind irgendwie geschlechtslos“, wirft Patrick ein. „Ihr wisst schon, weder Männlein noch Weiblein!“
    „Also, auf Rafael trifft das jedenfalls nicht zu“, erwidere ich noch immer mit rotem Kopf. „Unter der Bettdecke konnte man schon so eine Wölbung erkennen. Und die war nicht gerade klein.“
    Lars biegt sich vor Lachen, und auch Anja und Patrick müssen grinsen. „Ich finde das super“, sagt Lars, als er sich ein wenig beruhigt hat. „Wenn meine Großmutter das nächste Mal anruft und fragt, ob ich regelmäßig zur Beichte gehe, dann kann ich ihr wenigstens sagen, dass es nicht so schlimm ist, wenn ich es nicht tue, weil mein Mitbewohner zurzeit einen besonders guten Draht nach oben hat. Er treibt es mit einem Engel und legt bestimmt ein gutes Wort für mich ein!“ Es folgt eine neue Lachsalve und Lars bekommt einen Schluckauf. Heute scheint sich jeder auf meine Kosten zu amüsieren.
    „Halt’s Maul“, sage ich und werfe ihm einen warnenden Blick zu. Lars bewegt sich auf dünnem Eis bei diesem Thema; er und ich haben unvereinbare Ansichten, was die Bedeutung von Bettgeschichten angeht.
    Anja räuspert sich. „Also, ich gehe jetzt schlafen“, erklärt sie. „Ich bin hundemüde. Außerdem können wir heute sowieso nichts klären.“
    „Vielleicht bilden wir uns das ja auch alles nur ein“, sagt Patrick. „So eine Art kollektiver Traum, aus dem wir morgen früh erwachen und an den sich dann keiner mehr erinnern kann!“
    „Eher ein kollektiver Albtraum“, murmele ich, aber ich schließe mich den anderen an und gehe zurück in mein Zimmer.
    „Und lass die Hände über der Bettdecke“, ruft Lars mir anzüglich nach. Als Antwort knalle ich die Tür hinter mir zu. Aber er hat Recht. Es fällt mir ziemlich schwer, meine Gedanken bei mir zu behalten, und es dauert lange, bis ich endlich eingeschlafen bin. Ich habe die dunkle Vorahnung, dass mein Leben in nächster Zeit ein wenig komplizierter werden wird.
    Finn zieht sich aus und legt sich nackt in die leere Badewanne. Er zuckt zusammen, als seine Haut das kalte Porzellan berührt, und ein Schauer jagt über seinen Körper. Eine Kerze, die er auf den Toilettendeckel gestellt hat, ist die einzige Lichtquelle im Raum und wirft Schatten an die Wand. Finn bemerkt, dass die Armaturen schmutzig sind. Eingetrocknete Wassertropfen und Seifenreste haben einen Schmierfilm und Kalkränder auf dem ehemals glänzenden Metall hinterlassen. Unentschlossen und mit einer fahrigen Geste wischt er mit seinem Finger über den Wasserhahn. Der Schmutz bleibt.
    Finn seufzt und dreht langsam das heiße Wasser auf. Sein rechtes Handgelenk schmerzt, über zwei Stunden hat er gebraucht, um einen Brief an Marco zu schreiben. Wieder und wieder hat er angefangen, einen Bogen nach dem anderen zerknüllt, weil ihm eine Formulierung nicht gefiel oder weil er nicht wusste, wie er anfangen soll. Schriftlich kann er sich schlecht ausdrücken; lieber würde er ihm sagen, was er denkt. Aber

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