Und dann der Himmel
nicht wahr?“
„Es ist eine Tatsache und keine Glaubensfrage“, sage ich. „Sie hat Erfolg, Geld und einen Mann. Sie hat all das, was ich nicht habe.“
Rafael öffnet den Mund, aber dann schluckt er herunter, was er mir entgegnen wollte, und schweigt.
Draußen ändert sich langsam die Gegend. Der Verkehr verringert sich stetig, bald kommt uns nur hin und wieder ein Wagen entgegen. Wir haben Hannover und Celle hinter uns gelassen und um uns herum löst unberührte Heidelandschaft die Ballungszentren der menschlichen Zivilisation ab. Trotz des raueren Klimas als im Rheinland hat es auch hier in der letzten Zeit nicht geschneit; weite, unbewohnte Flächen in grauen, braunen und dunkelgrünen Tönen breiten sich vor uns aus, hin und wieder durchbrochen von kleinen Baumgruppen, zugefrorenen Bächen und ein paar einsamen Bauernhöfen mit altertümlichem Fachwerk, aus deren Kaminen weißer Dampf quillt. Findlinge – riesige Gesteinsbrocken, die von der letzten Eiszeit hier zurückgelassen wurden – liegen inmitten von Wiesen, sandigem Boden und Heidegestrüpp, als wären sie das verloren gegangene Spielzeug einer ausgestorbenen Rasse von Riesen und Trollen. Es ist ein einfacher, karger Landstrich, flach, ohne große Erhebungen. Der Himmel über uns ist weit. Als wir auf eine Nebenstraße abbiegen, treffen wir am Rande einer Böschung auf ein paar Schafe, von denen es hier so viele gibt.
Rafael drosselt die Geschwindigkeit und öffnet das Fenster. Frische, klare Luft strömt herein und sogar jetzt im Winter meine ich, einen Hauch von Wacholder zu riechen. Adolf setzt sich hechelnd auf seine Hinterbeine und hält seine Nase erwartungsvoll in den Wind. Um uns herum ist es still – nein, das ist das falsche Wort. Es ist so ruhig, als hätte die Natur hier einen Gang zurückgeschaltet, um sich selbst ein wenig Erholung zu gönnen. Die Hintergrundgeräusche der Stadt fehlen, ebenso die unablässige Betriebsamkeit, die man nach einer Weile nur noch unbewusst wahrnimmt. Über uns zieht ein Raubvogel seine geduldigen Kreise.
„Was für ein herrlicher Flecken Erde!“ seufzt Rafael schwärmerisch. „Schade, dass wir nicht im Sommer hier sein können. Ich habe noch nie blühende Heide gesehen. Wie ist es dann hier?“
„Lila“, sage ich einsilbig. Rafaels Begeisterung kann ich nicht teilen. Natur und Einsamkeit kann ich nur in geringen, wohldosierten Mengen vertragen, beispielsweise, wenn ich nachdenken will und die Gewissheit habe, nach wenigen Stunden die erdrückende Ödnis wieder gegen das Leben in der Stadt eintauschen zu können. Was mir hier an Ruhe und Frieden entgegenschlägt, kommt mir dagegen wie ein Overkill an Besinnlichkeit vor. Außerdem graut mir vor der Begegnung mit Sabine und ihrer Familie. Wer weiß, welche Gemeinheiten sie diesmal in petto hat.
„Dir ist wirklich nicht zu helfen!“ erklärt Rafael kopfschüttelnd.
Ich ignoriere seine Bemerkung und deute auf ein ungelenk behauenes Holzschild, das vor uns am Straßenrand auftaucht. Hollwegerhof steht darauf zu lesen. Wir sind fast da. „Nach dem Schild den ersten Weg rechts ab und dann ungefähr einen Kilometer geradeaus“, sage ich. „Und fahr vorsichtig. Es wird ein bisschen holprig.“ Kurz darauf hören wir Schotter und kleine Steine gegen den Unterboden des Wagens schlagen. Die Räder knirschen auf dem Kies und Rafael fährt nur noch Schritttempo.
„Ist deine Schwester eigentlich nicht verheiratet?“ wechselt er plötzlich das Thema.
„Doch. Wieso?“
„Weil der Hof ihren Namen trägt und nicht den deines Schwagers.“
Überrascht sehe ich Rafael an. „Klaus hat ihren Nachnamen angenommen. Das geht seit einiger Zeit – höre ich da etwa Spießigkeit heraus, eine gewisse Unaufgeschlossenheit gegenüber Neuerungen?“
Rafael bekommt wieder diesen gewichtigen Gesichtsausdruck, wie immer, wenn er glaubt, die Rückständigkeit seines „Arbeitsumfeldes“ verteidigen zu müssen. „Ich würde es eher als einen Erhalt bewährter Traditionen bezeichnen“, sagt er. „Die Frau ist dem Manne untertan. So war es seit Jahrtausenden und so steht es schon in der Bibel.“
Ich traue meinen Ohren kaum. „Wie bitte? Du hast doch selbst gesagt, man soll nicht alles wörtlich nehmen, was da drinsteht!“
„Man sollte aber auch nicht alles kurzentschlossen über Bord werfen!“
„Willkommen im 21. Jahrhundert“, erwidere ich ironisch. „In unserer Zeit können die Frauen nicht nur ihren Nachnamen nach der Heirat behalten, sie müssen
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