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Und dann der Himmel

Und dann der Himmel

Titel: Und dann der Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Stressenreuter
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auch keine Kamele mehr als Mitgift in die Ehe einbringen – und sie dürfen sogar wählen gehen!“
    „Eines Tages“, prophezeit Rafael, „eines Tages wird Gott zu der Überzeugung gelangen, dass mal wieder ein neues Sodom und Gomorrha fällig ist. Und wen wird er mit der Ausführung des Massakers beauftragen?“ fügt er düster hinzu. „Die Engel!“
    „Ach, und das alles nur wegen der Emanzipation der Frauen? Ich dachte, Gott liebt alle Menschen?“
    „Tut er ja auch – im Prinzip. Nur manchmal ist er eben schlecht gelaunt, und dann sollte man ihm möglichst aus dem Weg gehen und keine Aufmerksamkeit erregen. Denk an die Sintflut“, antwortet Rafael. „Der Himmel ist nun mal eher patriarchalisch geprägt“, ergänzt er dann noch.
    Leider habe ich keine Zeit, mir diese erstaunliche Offenbarung genauer durch den Kopf gehen zu lassen, denn in diesem Moment taucht vor uns Sabines Bauernhof auf.
    Obwohl ich erst vor einigen Monaten hier war, ruft der Anblick dieses Anwesens jedes Mal ein gewisses Neidgefühl in mir hervor. Nicht so sehr wegen dem, was sie aus dem Haus gemacht hat – während meiner Kindheit und meiner Beziehung mit Finn habe ich genug Zeit auf dem Land verbracht, um zu wissen, dass ich ein Stadtmensch bin –, sondern wegen dem, was es zumindest für mich symbolisiert: Glück, Sicherheit und ein Zugehörigkeitsgefühl – alles Dinge, die ich in meinem Leben vermisse. Ja, ich gebe zu, ich bin eifersüchtig auf meine Schwester.
    Bevor Sabine und Klaus das Haus gekauft haben, war es eine verfallene, altersschwache Scheune, die sie in Eigenarbeit – abzüglich einiger schwarz beschäftigter Handwerker – von Grund auf saniert und renoviert haben. An die ehemalige Funktion des Gebäudes erinnert heute nur noch das große Scheunentor an der vorderen Frontseite, zu dessen Füßen ein großer Garten angelegt worden ist. Das Dach des Hofes ist typisch norddeutsch mit Ried gedeckt, die Mauern bestehen aus rotem Backstein und sind mit schwarzem Fachwerk durchzogen. Efeu und eine im Sommer rot blühende Clematis klettern an den Mauern hoch. Der klobige, düstere Eindruck wird aufgehellt durch die vielen weiß getünchten Sprossenfenster, die sich puppenstubenartig aufgereiht im Erdgeschoss und ersten Stock die Längsseiten des Gebäudes entlangziehen. Alles in allem ein Schmuckstück, das das Herz jedes Denkmalpflegers erfreuen dürfte.
    Im Inneren ist das Gebäude vollkommen entkernt und modernen Wohnbedürfnissen angepasst worden und besitzt jede erdenkliche Bequemlichkeit. Vor allen Dingen bin ich neidisch auf den offenen Kamin im Wohnbereich und auf den Herd in der Küche, der nicht etwa Teil einer an den Rand gequetschten Einbaumöblierung ist, sondern als Insel mitten im Raum steht. Ich kann zwar nicht kochen, aber so einen dekadenten Herd hätte ich auch gerne, einfach, weil er geil aussieht und Eindruck schindet. Es ist nicht fair, dass ich mich in der WG mit einem banalen Gasherd zufrieden geben muss, bei dem einer der vier Kochringe alle paar Tage seine Dienste versagt. Überhaupt, nichts an diesem Haus ist fair, wenn ich es mit meinen Wohnverhältnissen vergleiche.
    Während wir den Anfahrtsweg zum Hof entlangholpern, taucht linker Hand neben dem Haus ein schuppenähnliches, halbfertiges Gebäude auf, das ich noch nicht kenne. Bei meinem letzten Besuch gab es an seinem Platz eine wild wuchernde Wiese mit Herbstblumen sowie einen Sandkasten für die Kinder. Jetzt recken sich dort Holzpfähle in die Höhe und das noch unvollständig gedeckte Gerippe einer Dachkonstruktion. Reicht dem Größenwahn meiner Schwester das Haus nicht mehr aus?
    „Was ist denn das?“ sage ich gehässig. „Würde mich nicht wundern, wenn Sabine ein paar Dienstboten eingestellt hat und jetzt von dem Geld, das sie mit unlauteren Machenschaften an der Börse eingestrichen hat, eine Unterkunft für das Gesinde errichtet.“
    Rafael drückt auf die Hupe und gibt unsere Ankunft bekannt.
    Als ob ich mit meiner Vermutung ins Schwarze getroffen hätte, tritt ein mir völlig unbekanntes junges Mädchen mit langen, dunkelbraunen Haaren und der Figur eines Dior -Models vor die Tür. Auf dem Arm trägt sie Annika, die noch nicht einmal zweijährige Schwester meines Patenkindes Simon.
    „Siehst du?“ sage ich befriedigt zu Rafael. „Sabine hat jetzt sogar ein Kindermädchen. Der Teufel scheißt immer auf denselben Fleck!“
    „Tut er nicht“, erwidert Rafael abwesend, während er den Motor abstellt und sich interessiert

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