Und dann der Himmel
schroffe Art, mit der Sabine mich behandelt, ist trotzdem ungewohnt. Ihr Ton gefällt mir nicht und ich betrachte meine Schwester genauer. Auch wenn ich Sabine schon häufiger in ihren neuen, bäuerlichen Arbeitsklamotten gesehen habe, heute kommen sie mir besonders ungepflegt vor. Zu dem ausgebeulten Overall trägt sie schwere, dreckverschmierte Schuhe und ein altes Hemd, das ich nicht einmal mehr als Putzlappen verwenden würde. Ihre Haut wirkt fahl und sie hat ihre Haare achtlos zu einem Zopf zusammengebunden. Unter ihren Augen entdecke ich Schatten, als bekäme sie zu wenig Schlaf, und sie wirkt angespannt, als wäre sie mit ihren Gedanken woanders. „Und dir geht’s gut?“ frage ich vorsichtig.
„Ja, natürlich, alles bestens!“ antwortet sie knapp. Normalerweise nutzt sie diese Art Fragen, um mir ihre neuesten Pläne und Erfolge genüsslich unter die Nase zu reiben. So einsilbig kenne ich sie gar nicht.
„He, und wofür baust du an? Ist dir das Gutsherrenhaus nicht mehr groß genug?“ Ich heuchele Interesse und deute auf den halb fertigen hölzernen Anbau, um vom Thema abzulenken. Aber selbst wenn ich mir Mühe gebe, kann ich den neidischen Unterton in meiner Stimme nicht unterdrücken.
„Ein Unterstand für die Heidschnucken. Der Schuppen, in dem sie momentan untergebracht sind, bricht fast zusammen“, antwortet sie müde. „Seit wann hast du einen Hund?“ Gerade hat sie den schwanzwedelnden Adolf im Auto entdeckt.
„Seit gestern Morgen. Willst du ihn haben? Adolf ist zwar furchtbar dumm, aber auch furchtbar groß. Er könnte deine Heidschnucken bewachen.“ Sabine lacht und geht ins Haus. Es fängt an zu regnen.
Während wir unsere Sachen und die Haustiere aus dem Auto holen, nimmt mich Rafael beiseite. „Deine Schwester sieht nicht gut aus“, flüstert er mir zu und bestätigt meinen ersten Eindruck. „Sie ist bedrückt und traurig. Ich kann es spüren.“
„Ach was“, wiegele ich ab, „sie hat wahrscheinlich nur ihre Tage oder hat schlecht geschlafen.“ Ich kann mir nicht vorstellen, dass mit Sabine etwas nicht stimmt. Warum sollte es ihr schlecht gehen? Sie hat doch alles, was man sich wünschen kann. Rafael sieht mich kopfschüttelnd an und folgt mir.
In der Küche hockt Simon, mein Patenkind, auf dem Boden, ein fünfjähriger Rotzlöffel mit rotblonden Haaren, schlechten Manieren und Sommersprossen auf genau den gleichen Stellen im Gesicht wie ich. Er sagt gelangweilt „Tag“, und als er – in Anbetracht der nahenden Feiertage – kein mit knisterndem Glanzpapier eingepacktes Weihnachtsgeschenk in meiner Hand entdeckt, wendet er seine Aufmerksamkeit demonstrativ wieder einem Spielzeugroboter zu, der obszöne Kampfgeräusche von sich gibt. Sabine scheucht Simon aus der Küche und lässt sich erschöpft auf einen Stuhl fallen. „Colette, wieso hat Annika nicht aufgegessen?“ fragt sie vorwurfsvoll, als sie die Überreste des Mittagessens auf dem Tisch verstreut sieht.
„Sie ’atte keinen ’unger und isch wollte meine neue Bluse nicht schmutzig machen“, erwidert das Aupair-Mädchen beleidigt. Sie zupft an ihrem cremefarbenen, seidigen Hemd, das einen tiefen Blick in ihr Dekolleté bietet. Der Unterschied zwischen meiner abgearbeiteten Schwester und der modisch herausgeputzten Colette könnte nicht offensichtlicher sein. „Das Kind ist ’eute sehr … wie sagt man – schwierig?“
„Vielleicht liegt es ja daran, dass du mit Annika nicht umgehen kannst!“ erwidert Sabine genervt. „Koch uns wenigstens einen Kaffee!“
„Aber Frau ’ollweger, isch bin nicht die Köchin, isch bin hier, um mit die Kinder zu ’elfen!“ sagt Colette mit einem Schmollmund. „Das ’at Ihr Mann doch gestern auch gesagt!“ Jetzt kann auch ich nicht mehr an der Tatsache vorbeisehen, dass hier etwas nicht stimmt.
„Ist schon in Ordnung“, greift Rafael helfend ein, um eine Auseinandersetzung zu vermeiden, „wir machen das gerne selbst.“ Während Colette mit Annika und gerümpfter Nase die Küche verlässt, springt er auf, sucht in den Küchenschränken nach Kaffeepulver und Filtertüten und setzt die Kaffeemaschine in Gang.
„Das Mädchen macht mich wahnsinnig!“ erklärt Sabine. „Sie ist herablassend, arrogant und hat zwei linke Hände.“
„Warum schickst du sie nicht einfach wieder weg?“ frage ich.
Sabine schüttelt den Kopf. „Glaub mir, wenn es ginge, würde ich es tun“, murmelt sie und für einen Augenblick glaube ich, Tränen in ihren Augen zu sehen. Dann holt
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