Und dann der Himmel
stapft in den Schnee hinaus.
Links von ihm taucht ein grob zusammengezimmerter, überdachter Futterstand auf, direkt neben der letzten Schutz bietenden Tanne.
„Na, mal wieder unterwegs, um deiner trostlosen Existenz ein Ende zu bereiten?“ sagt plötzlich eine ironische Stimme in seiner unmittelbaren Nähe.
Finn wirbelt herum und entdeckt im Schatten des Unterschlupfes einen Mann, der lässig an einen Holzpfosten lehnt und trotz der Kälte nur Jeans und T-Shirt trägt.
„Was?“ fragt Finn überrascht.
„Ach, weißt du, es ist immer dasselbe, wenn wir uns treffen“, erklärt die Gestalt und pult sichtlich gelangweilt etwas Dreck unter ihren Fingernägeln hervor. „Du bist jedes Mal kurz davor, dich umzubringen. Das hat so was Lebensverneinendes.“
Finn kann sich beim besten Willen nicht erinnern, den Mann schon einmal gesehen zu haben. Andererseits kommt er ihm bekannt vor. „Das geht dich einen Scheißdreck an! Und spar dir den Sarkasmus“, knurrt er, auch wenn er spürt, dass die Gleichgültigkeit des anderen nur aufgesetzt ist. Er stapft an dem Futterstand vorbei, in der Hoffnung, seinen lästigen Gesprächspartner schnell wieder loszuwerden. Doch diese Taktik scheint nicht zu funktionieren. Im Gegenteil, der Fremde schließt sich Finn an, als wäre er zu einem Spaziergang eingeladen worden, und plaudert munter weiter.
„Wohlgemerkt, ich will nicht behaupten, dass du fantasielos bist“, sagt er jetzt und kratzt sich ausgiebig über sein Grübchen auf der Wange, „oder besser gesagt, Marco, der sich das schließlich alles ausdenkt, aber diese Szenarien haben doch einen leichten Touch ins Morbide, findest du nicht?“
Finn bleibt wie angewurzelt stehen und starrt dem Mann ins Gesicht. „Marco?“ fragt er. „Du kennst Marco? Wer bist du?“
„Rafael. Ein … Freund von Marco.“
„Ah“, sagt Finn bitter, „sein neuer Stecher?“
Überrascht stellt er fest, dass er einen wunden Punkt gefunden hat, denn Rafael ist diese Wendung der Unterhaltung sichtlich unangenehm. „Hm … nein … ja“, erklärt er verlegen, „aber nur zeitlich begrenzt. Ich bin sozusagen nur eine vorübergehende Phase. Die Zukunft gehört dir.“
„Was du nicht sagst“, gibt Finn zurück und glaubt Rafael kein Wort. „Weiß Marco, dass du hier bist?“
„In gewisser Weise“, antwortet Rafael etwas vage. „Aber er möchte eigentlich nicht, dass ich hier bin.“
„Und was tust du dann hier? Willst du sichergehen, dass ich aus seinem Leben verschwinde, damit du freie Bahn hast? Dass ich den Absprung schaffe? Wie kommst du überhaupt hierher?“
„Im Grunde bin ich hier, um dich davon abzuhalten“, erwidert Rafael mit einem plötzlich ernsten Gesichtsausdruck.
„Na, dann viel Spaß!“ Finn schnauft angestrengt, denn er hat nun den Anstieg erreicht und klettert den Hang hinauf. Hin und wieder muss er sich abstützen und einen Halt für seine Füße suchen, bevor er den nächsten Schritt wagt, denn der Boden ist rutschig geworden. Rafael dagegen läuft leichtfüßig und sicher neben ihm her. Schweigend klettern die beiden, bis sie die Spitze des Steilhangs erreicht haben. Sie stehen auf einem schmalen Felsvorsprung, der eine weite Aussicht über die verschneite Bergwelt freigibt.
„Wunderschön hier“, sagt Finn andächtig, nachdem er seinen Atem wiedererlangt hat. Dann schaut er nach unten, wo sich eine tiefe Schlucht vor ihm auftut. Unten am Grund gurgelt ein kleiner Gebirgsbach. „Vielleicht ist es ein wenig wie fliegen“, fügt er dann hinzu.
Rafael schüttelt den Kopf. „Du musst das nicht tun“, sagt er, aber Finn wehrt ab. Er hat sich seinen Entschluss reiflich überlegt.
„Ohne Marco geht es nicht. Es fühlt sich alles so leer an hier drin“, sagt er traurig und greift sich an die Brust.
„O bitte!“ erwidert Rafael und zieht unwirsch die Stirn in Falten. „Etwas weniger Melodramatik, wenn es geht, und etwas mehr Egoismus! Wo bleibt dein Stolz, wo bleibt deine Zuversicht? Glaubst du wirklich, Marco ist nicht lernfähig?“
Finn geht wütend einen Schritt auf Rafael zu. „Was weißt du schon? Marco wird mir niemals verzeihen“, sagt er heftig und stockt dann. Beinahe hätte der Kerl ihn tatsächlich von seinem Vorhaben abgelenkt. Ein anerkennendes Lächeln huscht über seine Lippen. „Netter Versuch, Rafael, oder wie immer du auch heißen magst“, gibt er zu und tritt an die Kante der Bergklippe. „Aber nicht ausreichend. Bestell Marco einen schönen Gruß und pass auf, dass du
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