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Und dann der Himmel

Und dann der Himmel

Titel: Und dann der Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Stressenreuter
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Moor und laufen querfeldein, bis ich erst Erde und dann Sand unter meinen Schuhen spüre. Dann höre ich in einiger Entfernung das Blöken von Schafen. Adolf spitzt die Ohren und zerrt ungeduldig an der Leine. Ich muss meine ganze Kraft aufwenden, um ihn zurückzuhalten.
    „Er kommt mir irgendwie bekannt vor“, sagt meine Schwester plötzlich und sieht mich an. „Hattest du schon früher mal was mit ihm?“
    „Mit dem Hund?“ frage ich etwas abgelenkt und nehme der Dogge das Halsband wieder ab. Wir sind ja jetzt abseits vom Moor, da kann nichts mehr passieren.
    „Mit Rafael.“
    Ich schüttele den Kopf.
    „Er ist nett“, sagt Sabine.
    „Ja“, stimme ich traurig zu. „Das ist er, aber er wird nicht bleiben.“
    „Warum nicht?“
    „Er ist beruflich ziemlich eingespannt und wohnt sehr weit weg“, lüge ich. „Es würde nicht funktionieren.“ Um meine Gefühle zu verbergen, putze ich mir laut und ausgiebig die Nase.
    „Schade. Er passt besser zu dir als Finn.“
    „Ach, Finn hatte auch seine guten Seiten“, erwidere ich. „Du hast ihn nur nie leiden können.“ Erst, als mir die Worte aus dem Mund gerutscht sind, fällt mir auf, dass ich Finn verteidigt habe. Ich bleibe stehen und starre meine Schwester an. „Ich kann nicht glauben, dass ich das gerade gesagt habe.“
    „Ich auch nicht“, sagt Sabine eine Spur zu heftig. „Immerhin hat er dich betrogen!“
    Ich sehe meine Schwester verwundert an. „Sag mal, was ist eigentlich los mit dir? Ich erkenne dich ja kaum wieder!“ sage ich schließlich. „Keine Prahlereien mit dem, was du erreicht hast, kein Marco-darauf-hinweisen-was-für-eine-Niete-er-ist, stattdessen siehst du abgekämpft und deprimiert aus, nörgelst über dein Aupair-Mädchen und hackst auf meinem Ex herum. Und dann noch diese Idee mit Heidschnucken! Abgefahrener geht es ja kaum noch!“
    „Klaus hat was mit Colette“, antwortet Sabine und schaut zu Boden. „Glaube ich wenigstens.“
    „Was? Du spinnst!“ sage ich ungläubig. „Das Mädchen ist doch höchstens sechzehn!“
    „Achtzehn“, erwidert meine Schwester. „Und was spielt das Alter für eine Rolle?“
    „Bist du dir sicher? Ich meine … hast du sie erwischt?“
    Sabine seufzt. „Ich bin neulich nachts wach geworden und Klaus lag nicht neben mir. Erst habe ich gedacht, er wäre aufgestanden, um sich um Annika zu kümmern, die schläft nämlich sehr unruhig in letzter Zeit. Aber dann habe ich diese Geräusche aus Colettes Zimmer gehört. Es liegt direkt neben unserem Schlafzimmer.“
    Ich kann meiner Schwester nicht ganz folgen. „Was für Geräusche?“
    Sie sieht mich verärgert an. „Jetzt sei nicht so schwer von Begriff, Marco! Du weißt schon: quietschendes Bett, unterdrücktes Stöhnen. Diese Art von Geräuschen.“ Sie zögert einen Moment. „Als Klaus zurückkam, habe ich ihn darauf angesprochen. Du kennst mich ja, ich halte nicht hinter dem Berg mit meiner Meinung.“
    „Und?“
    „Er hat alles abgestritten. Wenn ich es mir richtig überlege, hat er mir eine Szene gemacht anstatt umgekehrt“, fügt sie erstaunt hinzu. „Er hat behauptet, ich sei eine hysterische, paranoide Ziege. Er sei in der Küche gewesen und habe sich etwas zu trinken geholt, weil er Durst gehabt habe. Er war eine halbe Stunde weg, Marco! Außerdem hat er geschwitzt, als er sich wieder neben mich gelegt hat. Man schwitzt nicht, wenn man sich ein Glas Wasser aus dem Kühlschrank nimmt.“
    Ich bin sprachlos. Einen Moment lang ziehe ich die Möglichkeit in Betracht, dass Sabine eine falsche Schlussfolgerung gezogen hat, aber im Gegensatz zu mir ist meine Schwester ein Kopfmensch. Niemals würde sie eine solche Behauptung aufstellen, wenn sie sich nicht sicher wäre. Jetzt ist mir auch klar, warum sie so niedergeschlagen wirkt und wo das Problem mit Colette tatsächlich liegt.
    Mehrmals versuche ich, ein paar Worte zu formulieren, den richtigen Tonfall zu finden, in der Hoffnung, dass es nicht zu banal und dahingesagt wirkt, aber nach einigen Augenblicken gebe ich auf. Womit könnte ich meine Schwester auch trösten? Sätze wie: „Es wird schon wieder!“ oder „Es tut mir so Leid!“ klingen schon fast beleidigend. Ich wollte sie damals auch nicht hören. Ich könnte Sabine darauf hinweisen, dass ich mich mit Finn in genau derselben Situation befunden habe, nur dass es kein französisches Aupair-Mädchen war. Aber was hätte sie davon? Zu erfahren, dass man von dem Menschen, den man liebt, hintergangen worden ist, tut

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