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Und dann der Himmel

Und dann der Himmel

Titel: Und dann der Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Stressenreuter
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meine Schwester tief Luft und zwingt ein Lächeln auf ihr Gesicht. „Du bist also der Nachfolger von Finn“, wendet sie sich an Rafael.
    „Ja“, sage ich.
    „Nein“, sagt Rafael.
    „Was denn nun?“ fragt Sabine erstaunt.
    „Wir diskutieren noch darüber“, antworte ich, aber die Vehemenz, mit der Rafael ihre Frage verneint, hat mich verletzt.
    „Ah!“ sagt Sabine, aber ist klug genug, nicht nachzufragen. „Wollt ihr für ein paar Tage bleiben? Von mir aus auch über Weihnachten. Ich meine, wenn ihr schon Urlaub macht.“
    „Eine Übernachtung wäre schön“, sagt Rafael, bevor ich mich äußern kann. „Danach müssen wir weiter.“ Dass wir schon morgen wieder aufbrechen müssen, ist mir neu; bisher hat Rafael mir nicht gesagt, was er sonst noch vorhat, aber in Gegenwart meiner Schwester will ich ihn nicht zur Rede stellen.
    Schweigend schlürfen wir alle unseren Kaffee, jeder in seine eigene Gedankenwelt versunken. Ich merke, dass Rafael unruhig auf seinem Stuhl hin und her rutscht, und sehe ihn fragend an.
    Er deutet auf seinen Rücken und macht verstohlen Kratzbewegungen. „Ich muss allein sein!“ bedeutet er mir, indem er lautlos seine Lippen bewegt.
    Klappernd stelle ich meine leere Kaffeetasse auf den Tisch. „Wie wär’s, wenn du mir deine Heidschnuckensammlung zeigst?“ frage ich meine Schwester. „Adolf braucht Auslauf und Rafael ist müde von der Fahrt und würde wahrscheinlich gerne ein Nickerchen machen. Können wir uns im Gästezimmer ausbreiten?“
    „Ja, klar“, erwidert Sabine, „warum nicht? Oben im ersten Stock, erste Tür links. Das Bett ist frisch bezogen“, sagt sie zu Rafael, der daraufhin dankbar nach unserer Tasche greift und nach oben verschwindet. Er ist so in Eile, dass er noch nicht einmal einen Blick für mich übrig hat.
    Sabine und ich gehen nach draußen. Adolf stromert uns einige Schritte voraus, froh, sich nach der Autofahrt endlich wieder bewegen zu können. Der Regen hat aufgehört, mattgrau und erschöpft liegt der Himmel über dem Land. Es ist immer noch kalt, kälter als in der Stadt. Mein Atem hängt wie Dampf vor meinem Gesicht und ich vergrabe fröstelnd die Hände in meinen Jackenärmeln, während wir ums Haus herumlaufen und am Rande einer Wiese entlangmarschieren. Die Feuchtigkeit durchdringt meine Schuhe und ich bekomme nasse Füße. Früher hat mir der Winter nichts ausgemacht, im Gegenteil, ich habe mich auf lange Abende mit einer Tasse Tee, Kerzen, Räucherstäbchen und wohligem, trägem Sex gefreut. Jetzt deprimiert mich die kalte Jahreszeit nur noch.
    Sabine zwängt sich durch ein Loch in dem Jägerzaun, der das Grundstück umgibt. „Müsste auch gemacht werden“, sagt sie geistesabwesend. Sie scheint im Kopf eine Liste der notwendigen Reparaturen zu führen, aber ich höre auch so etwas wie Resignation heraus, als wäre sie überzeugt, diese Liste niemals abarbeiten zu können.
    Plötzlich stehen wir oberhalb eines flachen Hanges, aus dem versteckt zwischen Steinen ein Rinnsal klaren, eisigen Wassers hervortritt. Vor uns befindet sich ein kleiner, ziemlich eingetrübter See, an dessen Ufer Torfmoos wächst und Birkenstämme halb versunken in stehendem Wasser und dunklem Erdreich verrotten. Holzstege führen am Rande des Sees entlang.
    „Moor“, sagt Sabine. „Nimm den Hund an die Leine.“
    Ich pfeife und Adolf kommt wie der Blitz aus einem Gestrüpp geschossen, völlig eingesaut, weil er in Kaninchenlöchern gegraben hat. Erwartungsvoll hechelnd setzt er sich vor mir auf die Hinterbeine. Ich brauche noch nicht einmal „Platz“ zu sagen.
    „Der Hund ist gut abgerichtet“, kommentiert Sabine beeindruckt.
    „Ja“, sage ich, „er gehorcht mir aufs Wort. Aber das ist Rafaels Verdienst. Er kann ganz gut mit Tieren.“ Dass Adolf auch ein paar nicht so bewundernswürdige Eigenschaften auf Lager hat, lasse ich lieber unerwähnt.
    Wir gehen ein Stück auf den Holzstegen entlang, und schauen auf das brackige Wasser. Der Ort gefällt mir. Ein guter Platz zum Nachdenken. Ich zünde mir eine Zigarette an und blase den Rauch in die Luft. „Und hier sind deine Heidschnucken?“ frage ich. „Im Moor?“
    Sabine schüttelt den Kopf. „Da drüben, wo der Boden trocken und sandig ist und ein paar Gräser und Sträucher hergibt. Da sind sie.“ Sie deutet nach links. „Willst du sie wirklich sehen? Ich dachte, du magst Lamm nur als Kotelett!“
    „Zeig sie mir schon, dann hab ich es hinter mir“, erwidere ich grinsend.
    Wir verlassen das

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