Und dann gabs keines mehr
Er hatte Leslie geliebt, und er hatte ihr absolut vertraut. In Frankreich da draußen, inmitten dieser Hölle, hatte er gesessen und an sie gedacht, ihr Foto aus der Brusttasche seiner Uniformjacke genommen. Und dann – hatte er es herausgefunden! Es war genauso gekommen, wie die Dinge in Büchern geschehen. Der Brief im falschen Umschlag. Sie hatte ihnen beiden geschrieben, und sie hatte den Brief an Richmond in den Umschlag gesteckt, der an ihren Ehemann adressiert war. Sogar jetzt noch, Jahre danach, spürte er den Schock – den Schmerz… Gott, hatte es geschmerzt!
Und die Sache war schon eine Weile gelaufen. Der Brief machte das klar. Wochenenden! Richmonds letzter Heimaturlaub… Leslie – Leslie und Arthur!
Verdammt sei der Kerl. Verdammt sein lachendes Gesicht, sein knappes «Yes, Sir». Ein Lügner und Heuchler! Stiehlt einem anderen Mann die Frau! Sie hatte sich langsam angesammelt – jene kalte, mörderische Wut. Er hatte versucht, sich im Umgang mit Richmond nichts anmerken zu lassen. Es war ihm gelungen, so weiterzumachen wie vorher – nichts zu zeigen. Er hatte versucht, sich Richmond gegenüber so wie immer zu verhalten. War ihm das gelungen? Er glaubte, ja. Richmond hatte keinen Verdacht geschöpft. Gründe für wechselhafte Launen gab es da draußen mehr als genug, wo die Nerven der Männer immer wieder unter dem Druck der Ereignisse rissen.
Nur der junge Armitage hatte ihn das ein oder andere Mal seltsam angesehen. Ein ganz junger Bursche, aber er bekam viel mit, der Junge.
Armitage hatte vielleicht einen Verdacht – als die Zeit kam.
Er hatte Richmond bewusst in den Tod geschickt. Nur ein Wunder hätte ihn da unverletzt durchgebracht. Dieses Wunder geschah nicht. Ja, er hatte Richmond in den Tod geschickt, und es tat ihm nicht Leid. Es war ganz einfach gewesen. Fehler wurden am laufenden Band gemacht, Offiziere ohne Grund in den Tod geschickt. Es herrschte Verwirrung dort, Chaos. Die Leute sagten hinterher vielleicht: «Der alte MacArthur hat ein wenig die Nerven verloren, einen kolossalen Fehler gemacht, einige seiner besten Männer geopfert.» Mehr konnten sie nicht sagen.
Aber der junge Armitage war anders. Er hatte seinen Kompaniechef so seltsam angeschaut. Er hatte vielleicht gewusst, dass Richmond absichtlich in den Tod geschickt worden war.
(Als der Krieg vorbei war – hatte Armitage da geredet?)
Leslie hatte nichts gewusst. Leslie hatte um ihren Geliebten geweint (das vermutete er), aber sie weinte nicht mehr, als er zurück nach England kam. Er hatte ihr nie erzählt, dass er sie ertappt hatte. Sie waren zusammengeblieben – nur, dass sie jetzt seltsam abwesend schien. Und dann hatte sie drei oder vier Jahre später eine Lungenentzündung bekommen und war gestorben.
Das war lange her. Fünfzehn – sechzehn Jahre?
Er hatte die Armee verlassen und war nach Devon gezogen, um hier zu leben – hatte sich die Art von kleinem Anwesen gekauft, die er immer schon haben wollte. Nette Nachbarn – ein angenehmer Teil der Welt. Gelegenheit zum Jagen und Fischen. Er war an den Sonntagen in die Kirche gegangen. (Aber nicht an dem Tag, an dem vorgelesen wurde, wie David Uria auf das Schlachtfeld schickte. Das konnte er nicht ertragen. Gab ihm ein unbehagliches Gefühl.)
Jeder war sehr freundlich zu ihm gewesen. Das heißt, am Anfang. Später hatte er so ein unangenehmes Gefühl, dass die Leute hinter seinem Rücken über ihn redeten. Sie sahen ihn irgendwie anders an. Als ob sie etwas gehört hätten – irgendein verlogenes Gerücht…
(Armitage? Wie, wenn Armitage geredet hatte?)
Er hatte danach Menschen gemieden – sich in sich selbst zurückgezogen. Ein unangenehmes Gefühl, wenn die Leute über einen redeten.
Und alles war schon so lange her. So – so sinnlos heute. Leslie war in den Hintergrund getreten und verblasst und Arthur Richmond auch. Nichts von dem, was geschehen war, schien noch eine Bedeutung zu haben.
Aber es machte das Leben einsam. Er hatte sich angewöhnt, seine alten Armeefreunde zu meiden.
(Wenn Armitage geredet hatte, würden sie alles wissen.)
Und jetzt – heute Abend – hatte eine versteckte Stimme diese ganze versteckte Geschichte herausposaunt.
War er damit richtig umgegangen? Hatte er Haltung bewahrt? Das richtige Maß an Gefühl gezeigt – Entrüstung, Abscheu – aber keine Schuld, kein Unbehagen? Schwer zu sagen.
Keiner konnte die Anschuldigung ernst genommen haben, oder? Es hatte einen Wust weiterer Anschuldigungen gegeben, allesamt
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