Und dann gabs keines mehr
Er spielt mit uns. Will so nahe wie möglich an seinem verdammten Kinderreim bleiben!»
Zum ersten Mal klang seine Stimme unnatürlich, fast schrill. Als ob selbst seine Nerven, die sich schon so oft in schwierigen Lagen und gefährlichen Situationen bewährt hatten, jetzt dem Zerreißen nahe waren.
«Das Ganze ist verrückt – total wahnsinnig –, wir alle sind wahnsinnig!», brach es heftig aus ihm heraus.
«Wir sind noch im Vollbesitz unserer geistigen Kräfte», entgegnete der Richter ruhig. «Das hoffe ich zumindest. Hat jemand hier eine Spritze mit in dieses Haus gebracht?»
Dr. Armstrong richtete sich auf. «Ja, ich», meldete er mit leicht unsicherer Stimme.
Vier Augenpaare richteten sich auf ihn. Er wappnete sich gegen die Feindseligkeit und den Verdacht, der ihm aus diesen Augen entgegensprang.
«Ich reise nie ohne», verteidigte er sich. «Das machen die meisten Ärzte so…»
«Durchaus», sagte der Richter ruhig. «Würden Sie uns bitte verraten, Doktor, wo diese Spritze sich jetzt befindet?»
«Im Koffer auf meinem Zimmer.»
«Wir sollten diesen Sachverhalt besser überprüfen», schlug Wargrave vor.
In schweigender Prozession gingen alle fünf zu Armstrongs Zimmer hinauf. Der Inhalt des Koffers wurde auf den Fußboden gekippt.
Die Spritze fand sich nicht.
IV
«Jemand muss sie gestohlen haben!», sagte Armstrong wütend.
Im Zimmer herrschte Schweigen.
Mit dem Rücken zum Fenster stand Armstrong da. Vier Augenpaare, aus denen unverhohlen Verdacht und Anklage sprachen, waren auf ihn gerichtet. Er sah von Wargrave zu Vera und stammelte hilflos:
«Ich sage Ihnen, jemand muss sie gestohlen haben.»
Blore schaute zu Lombard, der seinen Blick erwiderte.
«Wir sind hier im Zimmer zu fünft», sagte der Richter. «Einer von uns ist ein Mörder. Die Lage ist höchst gefährlich. Es muss alles darangesetzt werden, die vier von uns, die unschuldig sind, zu schützen. Ich frage Sie daher, Dr. Armstrong, welche Arzneimittel befinden sich in Ihrem Besitz?»
«Ich habe einen kleinen Arztkoffer bei mir, den Sie gerne untersuchen können. Sie werden darin ein paar Schlafmittel finden – Trional und Sulphonaltabletten –, eine Schachtel Bromid, Natriumbicarbonat, Aspirin. Weiter nichts. Zyankali befindet sich nicht in meinem Besitz.»
«Auch ich habe ein paar Schlaftabletten dabei», gestand der Richter. «Ich glaube, Sulphonal. In entsprechend hoher Dosis eingenommen, wären sie wahrscheinlich tödlich. In Ihrem Besitz, Mr. Lombard, befindet sich ein Revolver.»
«Und wenn…», schnappte Lombard zurück.
«Nur so viel. Ich schlage vor, dass wir die gesamten Medikamente des Doktors, meine Sulphonaltabletten, Ihren Revolver und alles andere, was mit Arzneimitteln oder Waffen zu tun hat, einsammeln und an einem sicheren Ort verwahren. Wenn das geschehen ist, sollten wir uns alle einer Durchsuchung unterziehen, und zwar sowohl einer Leibesvisitation als auch einer Durchsuchung aller unserer Sachen.»
«Ich wäre ja verrückt, wenn ich meinen Revolver aus der Hand gäbe!», meinte Lombard aufgebracht.
Wargrave sah ihn scharf an:
«Mr. Lombard, Sie sind ein kräftig gebauter und durchtrainierter junger Mann, aber auch Inspektor Blore ist von ausgesprochen kräftiger Statur. Wie ein Kampf zwischen Ihnen beiden ausgehen würde, weiß ich nicht. Ich kann Ihnen aber eines versichern: Auf Blores Seite werden außer mir noch Dr. Armstrong und Miss Claythorne sein und ihm nach besten Kräften beistehen. Ich versichere Ihnen, es sieht nicht gut aus für Sie, sollten Sie sich weiterhin weigern.»
Lombard warf den Kopf in den Nacken. Seine Zähne entblößten sich in einem wölfischen Knurren.
«Also gut. Das haben Sie sich ja wirklich schön ausgedacht.»
Richter Wargrave nickte. «Sie sind ein vernünftiger junger Mann. Wo ist also Ihr Revolver?»
«In der Nachttischschublade neben meinem Bett.»
«Sehr gut.»
«Ich hole ihn.»
«Ich glaube, es wäre gut, wenn wir alle mitgingen.»
Philips Lächeln glich immer mehr dem Knurren eines Hundes, als er sagte: «Was sind Sie bloß für ein misstrauischer alter Teufel.»
Sie gingen den Gang hinunter zu Lombards Zimmer.
Mit großen Schritten ging Philip zum Nachttisch und riss die Schublade auf. Laut fluchend fuhr er zurück.
Die Nachttischschublade war leer.
V
«Zufrieden?», fragte Lombard.
Er hatte sich bis auf die nackte Haut ausgezogen, und die anderen drei Männer hatten sowohl ihn als auch sein Zimmer peinlich genau
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