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Und dann kam Ute (German Edition)

Und dann kam Ute (German Edition)

Titel: Und dann kam Ute (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Atze Schröder
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stand ein schmaler, gutgelaunter Typ vor mir und streckte mir die Hand entgegen: «Hallo, ich bin der Martin. Ich freue mich, dich zu sehen. Ich zeige dir mal unser Studio und entwerfe dann mit dir einen auf dich abgestimmten Trainingsplan.»
    Der hatte Nerven! Das konnte ja heiter werden. Aber egal. Ich war bereit, das ganze homoerotische Ambiente zu verdrängen, wenn mich dieser aalglatte Krankengymnast schnell zu den Eisenfressern bringen würde. Aber – von Folterkammer keine Spur. Stattdessen: Aerobicflächen, Zumba-Workout, Spinning-Räder, Cardio-Geräte, Chill and Boost, Slowpumping, Relaxing Zones und der unvermeidliche Spa- und Wellnessbereich.
    Mehr kriegte ich von dieser Lutscherbude nicht mit, denn ich saß schon wieder in meinem Porsche. Das war nicht «Rocky», sondern «Sex in the City». Hilfe. Ich rief meinen alten Kumpel Ralf Möller in L.A. an: «Sag mal, Ralle, wo hast du damals immer trainiert, wenn du in Essen warst?»
    Die Antwort kam wie aus der Pistole geschossen: «Bernie’s Muskelschmiede, Bahnhofstraße 8, bestell schöne Grüße.»
    Obwohl ich gebürtiger Essener bin, war der Hintereingang von Hausnummer 8 wirklich schwer zu finden. Es ging eine schmuddelige Treppe runter, und von da ab musste man nur noch dem Geruch folgen. Eine rostige Feuertür öffnete den Zugang zum Tempel der unerbittlichen Körperertüchtigung. Ein verbeulter, unrasierter Kopf auf einem behaarten Stiernacken ranzte mich feindselig an: «Wat willst du denn hier, du Penner?» Herrlich! Hier war ich genau richtig. Ich spürte schon, wie meine Muskeln kontrahierten und die alte Körperspannung zurückkehrte. In der Aloe-vera-Turnhalle von McProfi-Fit hatte ich mich gefühlt wie in einem gut beleuchteten Darkroom. Hier dagegen schien ich unter einfachen, aber dafür echten Fitnessjüngern gelandet zu sein.
    Ein inbrünstiges Stöhnen drang an mein Ohr. Na bitte. Hier wurde noch richtig Eisen gepumpt. Hier konnte man noch Menschen im Schweiße ihres Angesichts trainieren hören. Begeistert drehte ich mich zu dem Kampfstier um, der nun auf einem Hocker hinter der Theke saß und auf einen flimmernden Bildschirm an der Wand starrte. Auf dem Fernseher spielten sich unglaubliche Szenen ab: Rocco Siffredi, der legendäre italienische Pornostar, dübelte zehn willenlose Hausfrauen in vertrauten Posen durch die Küche. So viel zum Thema «Italian Stallion». Armer Rocky. Ich fragte den behaarten Brocken hinter dem Tresen in bewusst einfachen Worten: «Was kostet das hier?»
    Angestrengt dachte er nach. «250 Euro fürs Jahr. Im Voraus. Bar.»
    Ich gab ihm 200 und sagte: «Hier. Gib mir 120 wieder, der Rest ist für dich.»
    Von da an war ich mir selbst überlassen. Ich betrat den Trainingsraum und stellte mit Genugtuung fest, dass die Welt hier noch in Ordnung war. Es roch wie in einem persischen Pumakäfig. In der Mitte des spärlich beleuchteten Raumes stand ein klappriger Boxring, mit dessen Seilen 1930 bereits die «Andrea Doria» im Hamburger Hafen vertäut gewesen war. In der Ecke baumelte ein bananenförmig geformter Ledersandsack, in den schon legendäre Essener Unterweltgrößen wie Dieter «die Natter» Kuballa, der Rote Hugo und natürlich Sozen-Kalle ihre gute Laune reingeprügelt hatten. Sozen-Kalle war Sozialdemokrat und selbsternannter Gauner der Armen im Ruhrgebiet, daher der Name. Kalle nahm es von den Reichen, aber vergaß am Ende leider immer, den Armen zu geben. Kalle soll mal in seiner Hamburger Zeit Max Schmeling im Streit um einen Parkplatz vorm «Wienerwald» mit einem linken Haken k.o. geschlagen haben. Nicht die schlechteste Referenz für diese ehrliche Kampfstätte.
    In einer anderen Ecke stand so etwas wie eine Hantelbank. Drum herum lagen antiquierte und verrostete Gewichte verstreut. Die größten hätte selbst der Arbeitselefant des Maharadschas von Göteborg nicht heben können.
    Mehr war nicht. Mehr brauchte es auch nicht. Denn dieser Raum atmete Geschichte. Wie viele unzählige Boxduelle waren hier wohl illegal ausgefightet worden? Mann gegen Mann. Faust auf Faust, hart, ganz hart. Ich sah förmlich, wie beim Wettmeister die Hunderter eingezahlt wurden … der Alkohol in Strömen floss … verruchte Boxluder sich in hohen Hacken und Nylon-Nahtstrümpfen an schweißnasse Kampfkörper schmiegten. Hier zählte nur das Gesetz des stärksten Silberrückens. Endlich war ich angekommen.
    Randvoll mit Adrenalin, tänzelte ich leichtfüßig auf den Sandsack zu. Im Prinzip hatte er keine Chance.

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