Und dann kusste er mich
können.
Was war heute mit Charlie los? Seit unserem Gespräch bei dem gemeinsamen Pizzaschachteljob vor wenigen Wochen war er auffällig verändert. Normalerweise konnte man sich bei Charlie darauf verlassen, dass er der coole Typ im Hintergrund war, der als Gegenpart zu Jacks und Toms Slapstick-Humor agierte. Doch in letzter Zeit kam er mir vor, als hätte ihm jemand die Erlaubnis erteilt, bei den anderen Jungs mitzuspielen und genauso herumzublödeln wie sie.
Noch ungewöhnlicher war indes sein offensichtliches Verlangen, mich in seine Witze miteinzubeziehen – entweder verdeckt durch ein verschwörerisches Zwinkern oder offen, indem er mich zum Gegenstand seiner Witze machte. So hatte er auf der Fahrt hierher versucht, mich mit meiner Bühnenidentität aufzuziehen, hatte mich mit einer seichten Lounge-Sängerin verglichen und wie verrückt gelacht, als ich darauf einging. Natürlich wusste ich, wo mein Problem lag: Durch die Stagnation bei meiner Suche hatte ich viel zu viel Zeit, über andere Dinge nachzugrübeln. Charlie war nur eine dieser Ablenkungen, sagte ich mir streng. Es war nur eine Frage der Zeit, bis meine Suche wieder Fahrt aufnehmen würde, und dann wären all diese Gedanken, die mir jetzt das Leben schwermachten, vorbei und vergessen.
Ich schloss die Augen und vergegenwärtigte mir PK, während der Vogelgesang rings um mich herum anschwoll.
Wo bist du? , fragte ich stumm sein erstarrtes Bild in meinem Kopf. Als ich mich vor achteinhalb Monaten auf diese Reise eingelassen hatte, wäre mir nie in den Sinn gekommen, dass ich im Herbst immer noch auf der Suche sein könnte. Sicher, ich hatte mir ein ganzes Jahr gegeben, doch tief im Inneren hatte ich eigentlich erwartet, ihn innerhalb von zwei, drei oder höchstens vier Monaten zu finden.
Wenn man bedachte, dass schon so viel Zeit vergangen war, war es die Mühe da überhaupt immer noch wert? Ich hasste mich selbst für diese Frage.
»Einen Penny für deine Gedanken«, erklang neben mir Jacks vertraute Stimme.
»Ach, ich denk nur nach.«
Er sog scharf die Luft ein: »Sei vorsichtig, Süße. Ohne leckeren Kuchen als Grundlage kann das sehr gefährlich sein.« Seine Augen funkelten vergnügt. »Sophies Mum hat uns eine ihrer berühmten Sachertorten mitgegeben. In Wahrheit ist es ein stinknormaler Schokoladenkuchen. Magst du ein Stück?«
Das war in der Tat großartig. »Wie könnte ich da widerstehen?«
Wir schlenderten zum Cottage zurück, doch ein paar Schritte von der Tür entfernt blieb Jack stehen. »Rom, ich wollte dir eigentlich was sagen.«
»Schieß los.«
Er warf einen Blick auf das Cottage. »Hab Geduld mit Charlie.«
Sofort stand ich unter Hochspannung. »Was meinst du damit?«
»Sei nicht sauer auf ihn. Er … na ja, im Moment versucht er einfach, mit sich ins Reine zu kommen. Es wird eine Weile dauern, aber er wird die Kurve schon noch kriegen.« Ich verschränkte die Arme vor der Brust, eine kalte Brise strich über meine Schultern. »Ich habe keine Ahnung, wovon du sprichst.«
Seine innere Zerrissenheit war Jack anzusehen. Offenbar hatte er etwas auf dem Herzen, das er nicht in Worte fassen konnte – oder wollte. Nachdem er einige Sekunden mit sich gerungen hatte, gab er auf. »Vergiss es. Ich bin nur überfürsorglich.« Er umarmte mich, und ich spürte die Anspannung in seinem Rücken. »Ihr beide bedeutet mir sehr viel. Ich will einfach nicht, dass einer von euch unglücklich ist, das ist alles.« Als er sich aus der Umarmung löste, war sein gewohntes breites Lächeln wieder da. »Genug der Sentimentalitäten. Gehen wir Kuchen essen!«
Der nächste Morgen war herrlich klar und sonnig, der perfekte Herbsttag für Francescas und Owens Hochzeit. Wir standen früh auf und machten uns mit Appetit über das üppige englische Frühstück her, das wir Jacks legen därem Talent verdankten, überall etwas Essbares auf zu treiben. Seine langjährige Erfahrung als Pfadfinderfüh rer hatte ihn in puncto Nahrungsbeschaffung mit einer exzellenten Organisationsgabe ausgestattet sowie mit der Fähigkeit, seine Truppe mit militärischer Präzision zu Hilfsdiensten abzukommandieren. Ich war für die Eier eingeteilt, während Wren, Sophie und Tom die Verantwortung für Bohnen, Butter und Toast übernehmen mussten. Jack wiederum wachte über die auf dem Grill brutzelnden Würstchen und den Speck. Nur Charlie hatte sich die Freiheit genommen, lange auszuschlafen, was vielleicht auch an den vielen Flaschen Ale lag, die er am Vorabend mit
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