Und dann kusste er mich
heftige Schneefälle auf uns zukämen«, erzählte die Frau hinter mir ihrer Freundin, begleitet von den gurgelnden Lauten der beiden pausbackigen Knirpse auf ihren Schößen. »Die arme Shefali musste gestern Abend aus einem Park über das Wetter berichten.«
»Das arme Ding«, zwitscherte die andere Mutter. »Ein Wunder, dass sie sich bei den ganzen Außenübertragungen noch nicht den Tod geholt hat. Aber mit ihren Wetterprognosen liegt sie nur selten daneben.«
»Hm, hoffentlich behält sie auch dieses Mal Recht. Unser Dave wird durchdrehen und mit den Nachbarn um die Wette Schneemänner bauen. In unserer Straße über trumpfen sie sich schon gegenseitig mit ihrer Weihnachtsbeleuchtung, und wenn es schneit, wird der Wettbewerb noch schlimmer.«
Ich grinste in meinen Schal hinein und holte dann tief Luft, als meine Haltestelle erreicht war.
Es gab manche Orte, die eine Art Meilenstein im Leben darstellten: Für The Pinstripes war Harry’s Café so ein Ort. Seit Wren, Charlie und ich als Schüler der Secondary School das schmuddelige, schlichte kleine Café entdeckt hatten, war es Schauplatz unzähliger wichtiger (und weniger wichtiger) Momente gewesen. Während unserer Collegezeit führten wir dann Tom, Jack und Sophie in die bunte Welt unseres Cafés ein. Mit der Gründung von The Pinstripes hatte Harry’s den Status eines inoffiziellen Büros erlangt. Die meisten größeren Entscheidungen in Bezug auf unsere Band wurden im warmen, dampfigen Inneren des Cafés getroffen.
Angesichts dieser gemeinsamen Geschichte passte es ins Bild, dass das unvermeidliche Gespräch mit Charlie ebenfalls dort stattfinden sollte. Hinzu kam, dass Harry die wahrscheinlich besten Schinkenspeck-Sandwiches der Gegend machte. Doch als ich an diesem Morgen mit einem mehr als nur flauen Gefühl im Magen vor dem Café stand, war mir weiß Gott nicht nach Essen zumute.
Tief durchatmen, Rom! , ermahnte ich mich. Durch die beschlagene Fensterscheibe erspähte ich an unserem üblichen Tisch neben der Theke Charlies wuscheligen kastanienbraunen Haarschopf und seine hochgezogenen Schultern. Okay , sagte ich mir, bringen wir es hinter uns .
Ein Schwall feuchter, nach gebratenem Speck riechender Luft schlug mir entgegen, als ich die Tür aufstieß. Zur Begrüßung winkte mir Harry mit einem fleckigen Geschirrtuch zu.
»Romily! Wo bist du die ganze Woche gewesen?«
»Ach, du weißt schon, Harry, der übliche Weihnachtsstress.«
Er verdrehte die Augen. »Weihnachten hier, Weihnachten da – seit Wochen höre ich nichts anderes. Magst du ein Schinkenspeck-Sandwich? Ich mache gerade eins für Charlie.«
»Gern.« Ich blickte zu Charlie hinüber, der verlegen die Hand zur Begrüßung hob, und schleppte mich mit weichen Knien zu ihm an den Tisch.
»Morgen«, sagte er lächelnd und stand kurz auf. Er trug den dunkelblauen Pullover, den ich an ihm so mochte, weil er seine mitternachtsblauen Augen betonte, darunter ein weißes T-Shirt und dazu dunkelblaue Jeans. Bei diesem vertrauten Anblick löste sich der Knoten in meinem Magen kein bisschen.
»Hi.« Ich hatte keine Ahnung, wie ich das Gespräch beginnen sollte, und gönnte mir einen kleinen Aufschub, indem ich meinen Mantel auszog, langsam meinen Schal abwickelte und beides sorgsam auf den Stuhl neben mir legte.
Charlie spielte mit einem leeren Zuckerwürfelpapier und starrte auf die Tischplatte. Als er schließlich zu mir aufblickte, war ich verblüfft über den verletzlichen Ausdruck in seinen Augen.
»Schön, dich zu sehen.«
Abwehrend verschränkte ich die Arme vor der Brust. »Ich kann nicht lange bleiben.«
»Oh. Okay.«
»Ich habe ungefähr eine Dreiviertelstunde, also …«
»Gut.« Er rieb mit der Hand über seinen Nasenrücken – das machte er immer, wenn er nervös war. »Aber ich bin froh, dass du gekommen bist. Ehrlich gesagt, war ich mir da nicht sicher.«
»Ich auch nicht.« Jedes Wort fühlte sich an, als würde mir ohne Betäubung ein Zahn gezogen.
Er wandte den Blick ab. »Mann, das ist echt hart.«
»Ich weiß.«
»Charlie, magst du einen Espresso?«, rief Harry hinter der Theke hervor, worauf wir beide zusammenzuckten.
»Klar doch, Harry«, erwiderte Charlie lächelnd, drehte sich dann wieder zu mir und schnitt eine Grimasse. »Der wird heute leider auch nicht besser sein als sonst.«
Der Insiderwitz wirkte wie ein kleiner Eisbrecher, und ich spürte, wie die Spannung zwischen uns eine Spur nachließ – um gleich darauf geballt zurückzukehren, als Charlie
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