Und dann kusste er mich
Gedanken versunken war.
»Pah, das ist doch gar nichts!«, brummte Onkel Dudley. »Ich habe viel schlimmere Dinge durchstehen müssen, und ich lächle immer noch.«
»Dich hat jemand für eine verzweifelte Frau gehalten?«
»Hä? Oh, der ist gut. Unsere Romily ist ganz schön schlagfertig, was, Magsie?«
»Sei still, Dudley, ich denke nach.« Mags stützte die Ellbogen auf den Tisch, faltete die Hände und legte ihr Kinn darauf.
Begeistert klatschte mein Onkel in die Hände. »Ooh, diesen Blick kenne ich, Romily. Wenn deine Tante diesen Gesichtsausdruck hat, kannst du dich auf einen guten Ratschlag gefasst machen.«
Schweigend warteten wir. Nur das Geräusch des Wassers, das gegen das Boot schwappte, und das Tuckern eines sich von fern nähernden Kanalboots waren zu hören, bis das schrille Pfeifen des Teekessels die Stille zerriss.
»Wenn du es durchziehen willst, solltest du möglichst viele Leuten von deiner Suche in Kenntnis setzen«, sagte Tante Mags schließlich. »Je mehr Leute davon wissen, umso größer sind deine Chancen, ihn zu finden.«
Erneut klatschte Onkel Dudley in die Hände. »Brillant, unsere Mags!«
»Gut. Das werde ich tun. Aber wie soll ich es anfangen?«
Onkel Dudley tippte sich an die Seite der Nase. »Mach dir darüber keine Gedanken, Schätzchen. Überlass es einfach deinem Onkel Dudley.«
Als ich gerade zur jährlichen Weihnachtsfeier der Band aufbrechen wollte, rief Mum an.
»Ich wollte nur nachfragen, ob du auch sicher am ersten Weihnachtsfeiertag kommst«, sagte sie. Im Hintergrund hörte ich die Titelmusik von Gesprengte Ketten – zweifellos saß Dad gebannt vor dem Fernseher und sah sich den Film zum x-ten Mal an.
»Klar, ich freu mich schon«, log ich und klemmte das Telefon zwischen Ohr und Schulter, um meine High Heels anzuziehen.
»Gut. Ich dachte, du wolltest heute Abend mit deinen Musikerfreunden ausgehen.«
»Das tue ich auch«, erwiderte ich, während ich im Badezimmerspiegel mein Aussehen überprüfte.
»Dann gehst du ja ziemlich spät los. Es ist schon Viertel nach sieben.«
Ich grinste in mich hinein. Mit dem Leben von Musikern war Mum eindeutig nicht vertraut.
Meine Musikerfreunde hatten viele wundervolle Eigen schaften, aber Pünktlichkeit gehörte nicht dazu. Ich konnte gar nicht zählen, bei wie vielen Proben wir zu zweit über eine Stunde hatten warten müssen, bis endlich alle auf der Matte standen. Jack und ich waren in der Regel ziemlich pünktlich, doch Charlie, Wren und Sophie verspäteten sich gerne mal um zwanzig Minuten bis über eine Stunde. Und wir fingen fast immer ohne Tom an, der dafür bekannt war, dass er erst in der letzten Dreiviertelstunde der Probe aufkreuzte.
Jedes Jahr trafen sich die Bandmitglieder und ihre Partner zum Weihnachtsessen, meist im The Old Gate, einer Restaurantbar mit ausgezeichnetem Essen und Ale aus einer örtlichen Brauerei. Dieses Jahr hatte Jack mit der Tischreservierung bis zur letzten Minute gewartet und – Überraschung! – entdecken müssen, dass das Restaurant total ausgebucht war. Um nicht als völlig unzuverlässig dazustehen (obwohl man ihm dieses Versäumnis sicher jahrelang unter die Nase reiben würde), hatten Sophie und er hastig ein Essen in ihrem Haus organisiert, sich von der Familie und Freunden Stühle ausgeliehen und zur Verlängerung des Esstischs den weißen Plastikklapptisch aus dem Garten hereingeholt, damit wir alle Platz hätten. Aufgrund ihrer tapferen Bemühungen (und weil wir die beiden trotz der ständigen Spötteleien wahnsinnig gern hatten), erklärten wir restlichen Bandmitglieder uns bereit, etwas Ess- oder Trinkbares mitzubringen. Ich war zum Glück dazu bestimmt worden, für das Dessert zu sorgen, was absolut problemlos war, da ein hervorragend sortierter Waitrose-Supermarkt auf dem Weg zu unseren Gastgebern lag.
Ich wählte also zwei tiefgefrorene Käsekuchen mit Himbeerkompott aus und für Sophie, die ständig auf Diät zu sein scheint, zwei Schälchen fertigen Obstsalat.
Erwartungsgemäß war ich der erste Gast, obwohl ich erst nach neun bei Jack und Sophie eintraf. Eine ernst dreinblickende Sophie in Küchenschürze und mit Ge schirrtuch über der Schulter öffnete mir die Tür.
»Bin ich froh, dich zu sehen!«, rief sie und umarmte mich. »Jack dreht total durch.«
»Oh, nein. Was ist los?« Ich folgte ihr durch die Diele ins Esszimmer.
»Eigentlich nichts, außer dass mein Freund zum Putzteufel mutiert ist. Mann, so wie er sich aufführt, könnte man meinen, die
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