Und dann kusste er mich
wovon du sprichst.«
»Aber ich …«
»Nein!« Heftig schlug er mit der Hand auf den Tisch und brachte mich zum Verstummen. Dann fuhr er sich durchs Haar und rang sichtlich um Fassung, während ich ihn anstarrte wie ein Trottel. »Tut mir leid, ich kann das nicht.«
»Was kannst du nicht?«
Sein Blick flackerte. »Ich sehe dich heute zum ersten Mal.«
»Was? Aber du hast gesagt …«
»Ich weiß. Das war gelogen. Mein Bruder hat die Anzei- ge gelesen und fand die Ähnlichkeit der Beschreibung mit mir verblüffend. Ich hatte in letzter Zeit nicht viel Erfolg mit Beziehungen, und Phil – mein Bruder – meinte, so einen unglaublichen Zufall könne man einfach nicht ignorieren.«
Verletzt, verwirrt und unglaublich wütend sah ich ihn an: »Tja, das hättest du gleich zu Anfang sagen sollen. Ich sitze hier wie … wie eine Irre und mache mir Vorwürfe, weil ich mich nicht richtig an dich erinnern kann, und jetzt erzählst du mir, dass du es gar nicht bist.«
»Entschuldige. Ich wollte dich wirklich nicht verletzen.«
Wutschnaubend ergriff ich Mantel und Handtasche und stand auf. »Hast du allen Ernstes erwartet, damit durchzukommen? War dir nicht klar, dass ich dir früher oder später auf die Schliche kommen würde?«
»Sieh mal, du kannst mir nicht verübeln, dass ich es versucht habe. Ich meine, eine schöne Frau wie du sucht nach einem Typen, der genauso aussieht wie ich. Ich dachte, du würdest vielleicht irgendetwas in mir sehen, das dir gefällt.«
»Mal angenommen, das hätte ich – hättest du mir dann die Wahrheit gesagt?«
Er wandte den Blick ab – und das genügte mir als Antwort. Ohne ein weiteres Wort verließ ich das Café.
Wren konnte ich im Moment noch nicht gegenübertreten. Noch aufgewühlt von dem Erlebnis, wickelte ich mich fest in meinen Mantel, rannte die Kanalstufen hoch und ging über die Brücke ins Zentrum zurück. Im Innenhofcafé eines Kaufhauses bestellte ich mir eine Flasche Wasser und suchte mir ein stilles Plätzchen unter dem Vorsprung einer Rolltreppe. Smooth Jazz plätscherte aus der Musikanlage des Cafés, dessen offener Raum inmitten der hohen Mauern mir eine wohltuende Anonymität bot, in der meine pochenden Kopfschmerzen allmählich abklangen.
Ich war erleichtert, dass Mark nicht mein Fremder war, aber das Treffen mit ihm hatte meine Erinnerung an PK total infrage gestellt. Bis dahin war ich mir vollkommen sicher gewesen, wie er aussah – aber wie konnte ich das jetzt noch sein, nachdem ich Mark beinahe auf den Leim gegangen wäre? Es könnte Gott weiß wie viele Männer mit gestreiftem Schal und gewelltem Haar geben, die PK ähnlich sahen. Mit einem Gefühl tiefer Resignation wurde mir bewusst, dass der Mann, den ich am Valentinstag gesehen hatte, genauso gut Mark hätte sein können und nicht der Mann, nach dem ich suchte.
»Rom? Hi, dachte ich mir doch, dass du das bist!«
Erschrocken blickte ich auf, direkt in Charlies lächelndes Gesicht. Er hielt eine Times unter den Arm geklemmt und einen Pappbecher mit Kaffee in der Hand. »Darf ich mich zu dir setzen?«
Großartig! Die letzte Person, die ich im Moment sehen wollte, war Charlie Wakeley. Aber ich konnte ihm seine Bitte ja schlecht abschlagen, zumal er so erfreut zu sein schien, mich zu sehen. Also nahm ich mich zusammen und nickte lächelnd.
»Ich will dich aber nicht stören.«
»Das tust du nicht. Was führt dich hierher?«
»Ach, ich wollte einfach ein wenig raus. Mein Nachbar hat einen neuen Rasenmäher, der wie ein Flugzeugmotor klingt – also keine Chance, den Sonntag gemütlich im Bett zu verbringen. Und du?«
»Ich … äh …« Meine Kopfschmerzen wurden wieder schlimmer, und plötzlich war mir unangenehm warm. Ich fühlte mich krank.
Besorgt musterte er mich: »Hey, bist du okay?«
Mit einer Handbewegung tat ich seine Sorge ab. »Mir geht es gut, danke. Es ist gestern Abend nur etwas spät geworden.«
»Du lügst!«
Das war so nervig. Warum konnte er nicht einfach – nur für heute – vergessen, dass er mein bester Freund war und mich sehr gut kannte? Statt neben mir zu sitzen und mit seinem zerzausten Haar, den Wochenendbartstoppeln und dem blauen Pulli zu der Jeans extrem entspannt und cool auszusehen, während ich gerade in der Paraderolle einer verschwitzten, verzweifelten Irren glänzte. Im Grunde hatte ich nur zwei Optionen: mich mit einer Ausrede verdrücken (die Arbeit konnte nicht herhalten, schließlich hatte er mich schon bei einer Schwindelei ertappt) oder ihm die
Weitere Kostenlose Bücher