Und dann kusste er mich
Wahrheit erzählen. Und bei genauerer Betrachtung kam da eigentlich nur Letzteres infrage.
Ich konnte ihn nicht ansehen vor Verlegenheit, während ich ihm alles gestand.
Fairerweise musste ich Charlie zugestehen, dass er ruhig zuhörte und nicht ein Mal der Versuchung erlag, sich über mich lustig zu machen. »Wow! Das war ja ein ereignisreicher Vormittag.«
»Das kann man sagen.« Ich hatte einen extrem trockenen Mund und trank einen großen Schluck Wasser. »Das Schlimmste an der Sache ist, dass es durchaus sein kann, dass ich damals bei unserem Auftritt am Valentinstag Mark gesehen habe.«
Er runzelte die Stirn: »Und was ist daran so schlimm?«
»Na ja, ich dachte, es wäre der Mann gewesen, nach dem ich suche.«
Er nippte an seinem Kaffee. »Richtig.«
Es war komisch, mit Charlie darüber zu sprechen, vor allem angesichts unserer jüngsten Geschichte. Ich beschloss, dass es das Beste wäre, mich aus dem Staub zu machen.
»Wie auch immer, Wren erwartet mich, deshalb …«
Er beugte sich nach vorne. »Klar. Sicher. War trotzdem nett, dich zufällig hier zu treffen.«
Ich stand auf. »Finde ich auch.«
Ich wollte mich gerade abwenden, als er mir über den Arm strich. »Schau, Rom, wenn dieser mysteriöse Mann so hingerissen von dir war, wie du glaubst, wird er ebenfalls versuchen, dich zu finden. Und wenn er nicht hingerissen war, tja, dann ist er ein Idiot.«
Seine Worte berührten mich mehr, als ich ihm zeigen wollte.
»Wie kann das sein, dass er es nicht war?« Die Hände in die Hüften gestemmt, stand Wren wie eine beleidigte Dreijährige in ihrem ultramodernen Wohnzimmer.
»Darum geht es gar nicht. Ich dachte, dass er es ist. Und das ist das Schreckliche daran.«
»Normalerweise hast du doch ein gutes Bauchgefühl, Rom. Du hättest auf deine Intuition hören sollen.«
Ich lehnte mich in dem weichen Sofa zurück. »Und was, wenn meine Intuition falsch liegt? Meine Erinnerungen an PK sind total vage …«
Wren stapfte zu mir herüber und setzte sich neben mich. »Jetzt hör mir mal gut zu, meine Liebe! So etwas will ich von dir nie wieder hören, okay? Was du da tust – und woran du entgegen aller Vernunft glaubst –, ist total inspirierend. Ich habe heute deinen Blog gelesen. Hast du in letzter Zeit mal reingeschaut? Da sind über fünfzig Mitteilungen von Männern und Frauen, die du noch nie im Leben gesehen hast. Sie glauben an dich. Und sie glauben an deine Erinnerung an den Typen – wie vage sie auch sein mag. Deine Überzeugung ist vorübergehend ins Wanken geraten, aber damit musstest du rechnen. Doch die Romily Parker, die ich kenne und bewundere, ist nicht die Person, die aufgibt, nur weil sie zwei Mal eine Schlappe erlitten hat. Es ist an der Zeit, ein paar Brücken zu bauen.«
»Was meinst du damit?«
Mit gespielter Verzweiflung sah mich Wren an. »Hast du denn nichts gelernt in den vielen Stunden, die du vor der Glotze gesessen und dir sämtliche Folgen von The Hills und The O. C . reingezogen hast?« Sie streckte die Brust vor, schüttelte ihr Haar zurück und sagte in schleppendem kalifornischem Singsang: »Schätzchen, du musst eine Brücke bauen. Und. Sie. Überqueren.«
Ich wusste, dass sie Recht hatte. In letzter Zeit war so vieles geschehen, das mehr Fragen aufgeworfen als beantwortet hatte, doch tief in mir drin war mein Glaube unversehrt geblieben. Er war kurzzeitig erschüttert worden, aber das würde ich nie wieder zulassen.
Wenn man so viele Hochzeiten miterlebt wie wir, hat man zwangsläufig hin und wieder Déjà-vu-Momente. Es gibt viele, aber eben nicht unendlich viele Varianten, einen Toast auszusprechen, einen Raum zu dekorieren, einen ersten Tanz zu tanzen oder am Ende des Abends eine emotionale Rede zu halten: unvermeidlich, dass sich da manches wiederholt.
Da immer mehr Räumlichkeiten die Lizenz für Hochzeitfeierlichkeiten erhielten, wurde das Spektrum an Mottopartys immer breiter. Wir sind schon an den merkwürdigsten Orten aufgetreten: von einem Clubhaus in einer FKK-Ferienanlage (zum Glück entschieden sich die meisten Gäste für irgendeine Art von Bekleidung) über ein ehemaliges psychiatrisches Krankenhaus bis hin zu einer Feuerwehrwache und einem restaurierten Bahnhof. (Braut und Bräutigam gaben sich im Stellwerk das Jawort, ehe sie mit ihren Gästen im Stil der vierziger Jahre auf dem Bahnsteig feierten.) Doch bei jedem Hochzeitsfest gab es einige feste Größen: Speisen, Getränke, Musik, Blumen, Verwandte, Freunde und mindestens einen
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