und das Geheimnis der Saerge
Aber dass sie hier auf dem Land auf solche Bauten treffen würden, hätten sie sich nie und nimmer träumen lassen. Ungläubig bestaunten sie die Pracht.
Wie in einem Theater kündigte eine Glocke den Beginn der Führung an. Die blonde Frau, der Justus die Karten abgekauft hatte, kletterte aus ihrem Häuschen und begrüßte die Wartenden. Zwei junge Leute in Radlerhosen und eine Familie, deren Vater ein Baby in einem Tragegestell vor der Brust trug, gesellten sich zu ihnen.
Die drei ??? waren enttäuscht. Sie wären zu gerne von einem der Mönche durch die Kirche geführt worden, erfuhren aber, dass es schon seit Beginn des 19.Jahrhunderts keinen Orden mehr in Zwiefalten gab.
Gleich hinter dem Hauptportal empfing sie ein kühler Luftzug. Es roch nach einer Mischung aus Blumen, Kerzenwachs und Weihrauch.
»Sieh mal, da vorn«, flüsterte Bob und deutete zum Altar, wo die Männer in den Kutten beieinander standen. »Die müssen einen anderen Eingang genommen haben.«
Leise übersetzte Alexandra die Erklärungen ihrer Führerin. Justus hörte nur mit einem Ohr zu. Er konnte sich nicht satt sehen an all den Deckengemälden, den vergoldeten Schnitzereien und marmornen Figuren. Peter und Bob ging es nicht anders.
»Unvorstellbar«, murmelte Bob. »Und das auf der Schwäbischen Alb, wo Fuchs und Hase sich gute Nacht sagen.«
»Das glaubt mir meine Mutter nie«, flüsterte Peter, der erst vor wenigen Tagen mit seinen Eltern telefoniert und ausführlich die Schönheiten Europas beschrieben hatte. Mrs. Shaw hatte ihn zweifelnd ermahnt, nicht zu übertreiben.
»Im 18. Jahrhundert ist 21 Jahre lang an der Kirche gebaut worden«, dolmetschte Alexandra. Sie zeigte hoch hinauf in das Kirchenschiff. »Jahrelang hat ein Freskenmaler dort oben auf einem Gerüst gearbeitet. Die meiste Zeit hat er auf dem Rücken gelegen. So sind die Deckengemälde entstanden.«
Sie gingen weiter in Richtung Altar. Die Mönche stießen zu ihrer Gruppe und lauschten ebenfalls dem Vortrag. Justus blieb einige Schritte zurück, um einen der Seitenaltäre genauer zu betrachten. Jeder einzelne war von Säulen aus rosa Marmor eingerahmt und hatte einen gewölbten, goldverzierten Himmel. Neben den Säulen standen kindgroße Figuren.
»Heiligenfiguren«, flüsterte Bob und stieß den Ersten Detektiv in die Seite. »Leider ohne jede Ähnlichkeit mit denen in den Särgen.«
Die beiden trennten sich von den anderen und gingen zu einem anderen Seitenaltar. Große Bilder zeigten eine Frau mit einem Kind an den Rockschößen und einen Mann mit Bart und Harfe. »Toll, wie lebendig die aussehen«, flüsterte Bob. »Das war bei der Frau mit dem blauen Umhang genauso. Als ich den ersten Sarg aufgemacht hab’, dachte ich, da liegt ein Toter.«
Sie schlenderten zum nächsten Altar. »Sieh mal!« Justus lenkte den Blick des Freundes auf den Sockel des Harfenspielers. »An dieser Stelle muss einmal eine andere Figur gestanden haben.« Auf dem Steinsockel war deutlich ein schmaler, dunkler Ring zu sehen. Justus warf einen Blick zu den hohen Kirchenfenstern. »Wenn ich nicht irre, scheint da vormittags die Sonne herein«, meinte er.
Bob nickte. »Die Sonne hat den Sockel ausgebleicht«, raunte er. »Bis auf den Platz, wo die Statue stand.«
»Bleibt die Frage, seit wann und warum sie dort nicht mehr steht«, flüsterte Justus. »Alexandra soll sich einfach erkundigen.«
Bob schlenderte zur Gruppe zurück. Versunken betrachtete Justus den Harfenspieler mit seinem milden, hingebungsvollen Gesichtsausdruck.
»Schön, nicht?«, sagte jemand hinter ihm. Justus fuhr herum. Vor ihm stand einer der Mönche, kaum größer als er selbst.
»Kennen Sie sich damit aus?« Der Mönch hatte die Hände in den weiten Ärmeln der Kutte verborgen und die spitze Kapuze tief ins Gesicht gezogen. Richtig zu sehen bekam Justus nur einen braunen Vollbart. »Wir sind aus Amerika hierher gekommen, weil uns diese –«, er suchte nach dem richtigen Wort, »– barocken Figuren so interessieren.«
»Ich habe euch beobachtet. Kommt um ein Uhr zum Kreuzgang. Ich weiß, seit wann der Harfenspieler hier Harfe spielt«, murmelte es aus der Kutte. Justus horchte auf und wollte eine Frage stellen. Aber der Mönch stand bereits nicht mehr neben ihm. Verdutzt sah ihm der Erste Detektiv nach. Der Mönch hatte einen ungewöhnlich schleichenden Gang: Er entfernte sich wie auf Rollen gezogen.
Justus hörte, dass die Führung zu Ende war. Gemächlich gingen die Besucher Richtung Ausgang. Mit einer
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