und das Geheimnis der Saerge
Peter, der bisher nur ein einziges Mal, bei seinem letzten Geburtstag, Wein getrunken hatte.
Durch ein Labyrinth enger Gassen gelangten sie auf einen kleinen Platz. Mylnár deutete auf eine schmale Tür, deren schmiedeeisernes Gitter weit offen stand. Eine steile Steintreppe führte in ein Kellergewölbe. Kühle Luft und Stimmengewirr drangen ihnen entgegen. Einer nach dem anderen stiegen sie hinunter. Durch mehrere Gewölbe, in denen fast alle Tische besetzt waren, und schmale Gänge kamen sie in eine Halle, in der Holzfässer lagerten.
Der Stadtführer redete ununterbrochen. »Wir sind hier vier Stockwerke tief«, übersetzte Alexandra, »wenn neuer Lagerraum gebraucht wurde, grub man einfach neue Keller.« Mylnár kam zurück zum Thema Wein, der viele Jahrhunderte lang wichtiger Wirtschaftsfaktor in Wien gewesen war.
»War?«, meinte Justus trocken. Er stieß Alexandra an und deutete in Richtung der Gästeschar. »Sieht eher so aus, als wäre er das noch.«
Peter zuckte die Schultern. »Ist mir auch egal«, flüsterte er ungeduldig. »Kann der nicht ein bisschen aufs Tempo drücken?«
»Was glaubst du?«, entgegnete Bob kopfschüttelnd. »Dass er uns zu den Särgen führt, die Statuen herausrückt und ein Geständnis ablegt?«
»Thema wechseln!«, zischte Justus. Dennoch war seine Stimme in dem Gewölbe für alle deutlich zu hören.
»Hat der junge Mann eine spezielle Frage?« Mylnár drehte sich zu ihnen um. Er sprach ein ganz passables Englisch.
»Wir haben gehört, dass die ganze Innenstadt unterkellert ist. Kommt man von hier auch direkt in die Katakomben?«, fragte Justus keck.
»War früher vielleicht möglich«, meinte ihr Führer unbestimmt, und begann – nun wieder auf Deutsch – zu erzählen, dass ein Teil der heutigen Keller bereits von den Römern angelegt worden war, dass aber viele aus dem 16. Jahrhundert und damit aus der Zeit der Türkenbelagerung stammten.
Mit einem plötzlichen Griff an ihren Unterarm stoppte Justus Alexandras Übersetzung. »Seine Augen!«, flüsterte er. »Seht ihr, was ich sehe?«
»Babette!«, entfuhr es Peter zischend. Erschrocken sahen sie zu Mylnár. Aber der war ganz in seine Erklärungen vertieft.
Durch einen Seiteneingang betraten sie nun die Michaeler Kirche. Peter stieß Justus an und zeigte auf seine Uhr. Es war kurz nach drei. »Wenn da wirklich etwas steigen soll in den Katakomben, dann muss er sich aber beeilen«, flüsterte er.
»Vielleicht kommt er unterirdisch dort hin«, gab Justus leise zurück.
Mylnár machte einen ausgesprochen gelassenen Eindruck. Während er über Seuchen des Mittelalters sprach, die das Anlegen von riesigen Gräbern notwendig machten, suchte er an seinem Bund den richtigen Schlüssel für die nächste Tür heraus.
»Unter unseren Füßen liegen Mumien«, sagte Alexandra und verzog ihr Gesicht.
Justus sah sie eindringlich an. »Bitte übersetz uns von jetzt an jedes Wort, das er sagt.« Sie nickte ernst.
Mylnár stand vor quadratischen Steinplatten, die in früheren Jahrhunderten herausgehoben wurden, um Särge hinunterzulassen. Der unterirdische Friedhof war wegen der immensen Seuchengefahr irgendwann gänzlich zugemauert worden. Im vergangenen Jahrhundert waren Mönche erstmals wieder hinuntergestiegen und hatten die Mumien entdeckt. Mylnár wandte sich zu einer Tür neben dem Hochaltar und schloss sie auf. »Sind Sie so gut und ziehen Sie die Köpfe ein«, ermahnte er seine Zuhörer mit freundlichem Lächeln. »Der Gang nach unten ist sehr niedrig.«
Es wurde kälter und roch modrig. Justus war nicht besonders erpicht darauf, mit 400 Jahre alten Mumien zusammenzutreffen, aber er wollte Mylnár nicht aus den Augen lassen.
Sie gelangten in ein schummriges Gewölbe aus quaderförmigen Steinen, nicht unähnlich dem Weinkeller von eben. Ihr Führer wurde plötzlich zurückhaltender, seine Stimme leiser. Als sie sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten, sahen sie, dass an den Wänden und in der Mitte des Raums Holzsärge gestapelt waren. Einigen fehlten einzelne Planken, andere hatten keinen Deckel mehr.
»Das Öffnen der Särge war keine Absicht«, erklärte Alexandra. »Das passierte, als die Mönche sie ordnen wollten.«
Schweigend zog die Gruppe an den Toten vorbei. Deutlich waren die Gesichtszüge eines Mannes mit tiefen Augenhöhlen und eingefallenen Wangen zu erkennen. Auf seiner Brust lagen runde Plättchen. »Knöpfe«, übersetzte Alexandra leise. »Das Hemd war aus Baumwolle. Es ist im Laufe der Jahrhunderte
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