und das geheimnisvolle Erbe
MacLaren stand mit hoch erhobenem Kopf in der Tür, doch dann senkten sich seine Schultern und es sah aus, als ob er in sich zu-sammenfiele. Einen Augenblick lang befürchtete ich, er würde zusammenbrechen, aber er schien über eine innere Kraftreserve zu verfügen. Abrupt richtete er sich auf und trat ein, gefolgt von Bill, der die Tür schloss.
»Ich sehe, Sie haben das Zimmer meines Bruders gefunden«, sagte Andrew leise und mit müder Stimme. »Als ich Mrs Hume sah, dachte ich mir schon … aber es ist auch egal. Wenn Sie gewartet hätten, hätte ich es Ihnen sowieso gezeigt.« Er zog den Stuhl vom Schreibtisch hervor und setzte sich, wobei er uns bedeutete, ebenfalls Platz zu nehmen.
Er sah zu den Modellflugzeugen hoch. »Ich habe versucht, alles so zu belassen, wie es während seines letzten Besuches war. Das letzte Mal, ehe er …«
Andrew fuhr sich mit der Hand über die Augen.
»Vielleicht habe ich versucht, zu vieles zu bewahren.«
Dann nahm er das Foto von Dimity in die Hand, und als er sprach, schien es, als wären seine Worte an sie gerichtet. »Ich habe versucht, meinen Zorn lebendig zu halten, aber es war schwer, furchtbar schwer. Der Zorn ist kein Feuer, an dem man sich wärmen kann, ohne dass die Seele dabei erfriert.
Jetzt bin ich ein alter Mann, und ich glaube, das Feuer ist aus. Zurückgeblieben sind nur Trauer und Schuldgefühle und die zunehmende Überzeugung, dass ich mich geirrt habe.« Er zog ein seidenes Taschentuch heraus und staubte das Bild sorgfältig ab, ehe er es behutsam an seinen alten Platz zurück-stellte. Einen Moment wickelte er das Taschentuch geistesabwesend um den Finger, dann entspannten sich seine Hände, und er faltete sie ruhig über seinem Stock.
»Sie möchten etwas über Dimity Westwood hö-
ren«, sagte er. »Dimity, die schöne Braut meines Bruders. Sie lernten sich im Flamborough Hotel kennen, und diese eine Begegnung genügte Bobby.
Ihm war auf den ersten Blick klar, dass er die Frau seiner Träume gefunden hatte. Er erzählte mir, dass er ihr auf einem Berg, von dem man in den Himmel sehen kann, einen Heiratsantrag gemacht habe.
Nach dem Krieg wollte er dorthin zurückkehren, an den Ort, wo er die Liebe entdeckt hatte. Er hatte mich gebeten, mich um sein schönes Mädchen zu kümmern, falls ihm etwas zustieße, und bei meiner Ehre als ein MacLaren versprach ich es ihm.
Es war so einfach, es zu versprechen. Seine Liebe zu Dimity hatte ihn in einen …«, Andrew ließ die Hand durch die in den hereinfallenden Sonnenstrahlen tanzenden Staubkörner gleiten, »… in einen goldenen Nebel gehüllt. Ich hatte noch nie einen Menschen so glücklich gesehen, und ich habe auch seitdem nie wieder jemanden so glücklich gesehen. Sie war einmalig, diese Liebe, bei der man keinen Neid und keine Eifersucht empfinden konnte. Sie wärmte auch mich, und ich war überzeugt, dass Dimity es genauso empfand und dass man alles daransetzen musste, um dieses Glück zu bewahren.«
Andrew legte seinen Stock auf den Boden und öffnete die unterste Schublade des Schreibtisches, aus der er ein Papierbündel nahm, das von einem hellblauen Band zusammengehalten war. Er öffnete die Schleife und nahm ein Foto heraus. Lange sah er es an, ehe er es mir gab. Es war das Bild eines gut aussehenden jungen Mannes in Uniform, der im Schatten einer knorrigen Eiche saß. Andrew deutete auf das Bündel.
»Man fand es bei Bobbys Hinterlassenschaft in Biggin Hill«, erklärte er. »Sehen Sie, ich hatte mich in Dimity geirrt. Am Abend vor seinem letzten Einsatz rief Bobby mich von seinem Stützpunkt an und sagte mir, sie habe die Verlobung gelöst.« Mit zit-ternden Händen hielt er mir das Bündel hin. »Sie hatte seine Briefe und seine Bilder zurückgeschickt, auch seinen Ring und alles, was sie an die gemeinsame Zeit hätte erinnern können. Sie hatte ihm gesagt, dass sie sich nicht mehr sehen dürften. Ich war wütend, empört. Ich verstand nicht, wie sie so blind und so grausam sein konnte. Aber Bobby blieb unbeirrt.
›Sie hält es für vernünftiger‹, sagte er ohne eine Spur von Bitterkeit zu mir. ›Sie denkt, dass es un-praktisch ist, in diesen ungewissen Zeiten Pläne zu machen.‹ Er lachte sogar. ›Sie irrt sich‹, sagte er.
›Gerade jetzt sollte man Pläne schmieden und Träume haben. Gerade jetzt muss man daran glauben, dass es ein Morgen gibt, dem man entgegen-fliegt. Und davon werde ich sie überzeugen, ich weiß, dass es mir gelingen wird. Sie hat mir zwar den Ring
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