und das geheimnisvolle Erbe
groß, und als ich hinter Mrs Hume durch die Räume schritt, schien es nur noch größer zu werden. Mrs Hume war gegen Smalltalk immun; jeden Versuch meinerseits, die Atmosphäre durch eine humorvolle Bemerkung aufzulockern, beantwortete sie mit eisigem Schweigen. Mit ihrer Art, wie sie systematisch Raum um Raum abhan-delte, indem sie jeweils einen auswendig gelernten Kommentar über Mobiliar und Gemälde herunter-spulte, erinnerte sie mich eher an einen mürrischen Professor als an eine Fremdenführerin. Ihr gelang sogar das bemerkenswerte Kunststück, den singen-den Tonfall, der dem Schottischen eigen ist, in ein monotones Gebrabbel zu verwandeln. Sollte sie die Absicht gehabt haben, mich damit einzuschläfern, dann musste ich sie enttäuschen. Aufmerksam re-gistrierte ich die Stationen unserer Führung: Es ging vorbei an einer Galerie mit verräucherten Ölport-räts und Marmortischen, an Büchergestellen aus Rosenholz und muffigen Gobelins hinauf in dunkle, staubige Speicher und wieder hinab in glänzende, hochmoderne Küchen. Sie zeigte mir sogar die Wä-
schekammern – aber es gab drei Orte, die wir nicht betraten. Als wir an Andrew MacLarens Privatsuite sowie an den Räumen der Hausangestellten vorbei-kamen, tat sie diese Örtlichkeiten lediglich mit einer Handbewegung ab, als wäre dazu nichts weiter zu sagen.
Eine Tür jedoch, von meinem Schlafzimmer aus die vierte Tür im Korridor, wurde weder mit einer Geste noch mit einem Kommentar bedacht. Wir waren auf unserem Weg zur Haupttreppe mehrmals daran vorbeigekommen, aber Mrs Hume verhielt sich, als sei sie unsichtbar, also hielt ich die Augen ebenfalls pflichtbewusst geradeaus gerichtet.
Nach einem späten Mittagessen – eigentlich war es schon Nachmittag – begleitete Mrs Hume mich in die Bibliothek, wo sie mich mit einem Stapel alter, verstaubter Bücher über die Familie MacLaren allein ließ. Normalerweise hätten mich diese Bücher fasziniert, aber jetzt waren meine Gedanken mit anderen Dingen beschäftigt – genau genommen, mit einem Einbruch. Ich beobachtete die messingbe-schlagene Uhr auf dem Kaminsims, und als eine Viertelstunde verstrichen war, öffnete ich die Tür, um zu sehen, ob die Luft rein war.
Mrs Hume sah auf. Sie war damit beschäftigt, die Eichentäfelung im Korridor zu polieren, und sagte:
»Ja, Miss Shepherd? Kann ich Ihnen behilflich sein?«
Ich brachte ein mühsames Lächeln zustande, dann beeilte ich mich zu sagen: »Könnte ich Sie wohl um einen Tee bitten?«
»Natürlich.« Mrs Hume legte ihren Lappen hin und machte sich auf in Richtung Küche, während ich die Tür wieder schloss. Fieberhaft suchte ich nach einem Einfall. Wenn ich nach oben in mein Schlafzimmer ginge, würde sie wahrscheinlich ihre Tätigkeit in den oberen Korridor verlegen, schließ-
lich gab es in MacLaren Hall Kilometer von Täfelung, die poliert werden musste. Man musste sie irgendwie ablenken. Ich sah mich in der Bibliothek um, erblickte ein Telefon, und dann kam mir auch schon die rettende Idee. Schnell wählte ich, und sobald Willis senior geantwortet hatte, fing ich an zu reden.
»Lori hier«, sagte ich leise und eindringlich. »Ich kann jetzt nichts weiter erklären, aber Sie müssen mir einen Gefallen tun. Einen wirklich großen Gefallen, jetzt gleich. Haben Sie etwas zum Schreiben?«
»Ja, Miss Shepherd.«
»Dann schreiben Sie bitte folgende Nummer auf.« Die Telefonnummer von MacLaren Hall stand auf einer kleinen Karte, die am Telefon befestigt war. »Haben Sie das?«, fragte ich und sah zur Tür. Er las sie mir vor, und ich sprach schnell weiter, ehe er Fragen stellen konnte. »Bitte rufen Sie in etwa zwanzig Minuten diese Nummer an, und fragen Sie nach Mrs Hume, H-U-M-E. Sie ist Haushälterin in einem großen alten Herrensitz hoch im Norden Schottlands. Halten Sie sie am Telefon fest, so lange Sie können, und erwähnen Sie weder meinen Namen noch Bills noch irgendetwas über Dimity Westwood. Und sagen Sie auch nicht, wer Sie sind. Könnten Sie das tun?« Jeder Muskel in meinem Körper war angespannt, während ich darauf wartete, wie er entscheiden würde.
»Ich könnte mich vielleicht als ein amerikanischer Verwandter vorstellen«, schlug Willis senior schließ-
lich vor. »Zum Beispiel könnte ich gerade dabei sein, meinen Stammbaum zu erforschen.«
»Das ist eine ausgezeichnete Idee!«, sagte ich.
»Mr Willis, Sie sind ein Genie – und tausend Dank.
Ich werde demnächst alles erklären. Und wie gesagt, bitte warten Sie noch
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