und das geheimnisvolle Erbe
wollte sie?« Überrascht sah ich ihn an. »Ist das der Gefallen, den sie in ihrem Brief erwähnt?«
»So ist es. Sie wünschte, dass Sie eine Einführung schreiben, in der Sie auf die Entstehung der Geschichten eingehen. Und die Einzelheiten hierzu entnehmen Sie der privaten Korrespondenz, die sich jetzt in Miss Westwoods Haus in England befindet, in der Nähe des Dorfes Finch. Ich vermute, sie hat in ihrem Schreiben an Sie diese Briefe erwähnt?«
Ich nickte.
»Sie sollten diese Briefe lesen, die von Ihrer Mutter und Miss Dimity Westwood geschrieben wurden. Auf diese Weise werden Sie die Begebenheiten, die Situationen und die Menschen wiederfinden, die Miss Westwoods Geschichten inspirierten, um in Ihrer Einführung darüber zu erzählen.« Willis senior hielt inne, dann sagte er leiser: »Ich kann es Ihnen nachfühlen, dass Sie Bedenken gegen eine Ver-
öffentlichung dieser Geschichten haben, Miss Shepherd. Für Sie handelt es sich um einen großen Schatz aus Ihrer Kindheit. Aber, meine Liebe, Sie verlieren die Geschichten ja nicht dadurch, dass Sie sie mit anderen teilen.«
Willis senior wäre ein guter Lehrer gewesen. Er hatte die Gabe, einen Dinge sehen zu lassen, die man selbst hätte sehen müssen, ohne dass man sich deshalb dumm vorkam. Ich würde nichts durch die Veröffentlichung der Geschichten verlieren, aber viele Kinder würden durch sie gewinnen. Tante Dimity würde auch für sie lebendig werden, und so sollte es sein.
»Sie haben Recht, Mr Willis«, sagte ich verlegen.
»Es ist ein netter Gedanke. Und ich denke auch, dass man die Geschichten nicht einfach veröffentlichen kann, ohne dass ich irgendwo in dem Buch vorkomme. Ich muss ja die größte Kennerin von Tante Dimity sein, die es gibt.«
»Das sind Sie auch.« Willis senior nickte zufrieden. Er sah auf den Bogen Papier, der zuoberst auf dem Stapel lag, dann sprach er weiter. »Sie haben einen Monat Zeit – das heißt, dreißig Tage ab Ankunft in dem Haus –, indem Sie das Nötige lesen und darüber schreiben können. Ich werde regelmäßig mit Ihnen in Verbindung stehen und Sie beraten und Ihnen bestimmte Fragen stellen, die Miss Westwood vorbereitet hat.«
»Fragen? Worüber?«
»Die Fragen betreffen den Inhalt sowohl der Briefe als auch der Geschichten, Miss Shepherd.«
»Ich könnte die Fragen zu den Geschichten sicher schon jetzt beantworten.«
»Zweifellos, aber wir werden es dennoch so machen, wie Miss Westwood es gewünscht hat. Wenn Sie am Ende des Monats alle Fragen zur Zufriedenheit beantwortet und die Einleitung zu dem Buch im Sinne von Miss Westwood geschrieben haben, bekommen Sie eine Provision von … lassen Sie mich nachsehen …« Sein Finger fuhr auf dem Schriftstück nach unten. »Ach ja, hier ist es.« Er sah mich an und lächelte. »Sie bekommen eine Provision von zehntausend Dollar.«
»Zehntausend …« Meine Stimme versagte. »Ist das nicht ein bisschen viel?«, fragte ich ungläubig.
»Es ist der Wert, den Miss Westwood der Aufgabe beimisst. Wie ich es verstand, lag die Sache ihr sehr am Herzen.«
»Das muss sie wohl.« Meine Gedanken flogen zu dem Stapel Rechnungen, unter denen mein Zimmer im Moment fast zu verschwinden drohte. Ich hatte vorgehabt, sie mit monatlichen Raten abzustottern, aber jetzt … zehntausend Dollar. Für die Arbeit eines Monats. Ich ließ mich auf dem Sofa zurück-fallen und bedeckte die Stirn mit der Hand.
Willis senior sah mich besorgt an. »Du liebe Zeit, was habe ich da wieder angerichtet. Bitte, gestatten Sie mir, dass ich Ihnen ein Glas Sherry anbiete. Sie sind ja ganz blass geworden.«
Während Willis senior den Sherry einschenkte, versuchte ich, meine Gedanken zu ordnen. Das war nicht leicht, denn Visionen von Hundert-Dollar-Scheinen sorgten dafür, dass sie immer wieder durcheinander gerieten. Aber als er mit dem Sherry zurückkam, hatte ich mich wenigstens so weit beruhigt, dass ich wieder aufmerksam zuhören konnte.
»Hier, meine Liebe, trinken Sie das, während ich fortfahre.« Er wartete, bis ich an dem Glas genippt hatte, dann sah er nochmals in seine Unterlagen.
»Sie brauchen erst nach England abzureisen, wenn es in Ihre Pläne passt. Miss Westwood dachte, dass Sie sich vielleicht erst von Ihren Freunden verabschieden möchten, mit Ihrem Arbeitgeber sprechen und andere Dinge organisieren müssen.« Er faltete die Hände und sagte: »Miss Westwood hatte auch dem Wunsch Ausdruck gegeben, dass Sie unsere Einladung annehmen und bis zu Ihrer Abreise hier wohnen
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