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Und das Glück ist anderswo

Titel: Und das Glück ist anderswo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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schwer gemacht hätte, machten sich die Liebenden von der Bank am Meer auf zu der hässlichsten Ecke der schönen Stadt. Dort hatte ein hoffnungsfrohes, ursprünglich immer heiteres junges Mädchen seinen Traum von der großen Liebe begraben. Schon als sie von weitem das Haus mit dem Storch aus Flanell auf dem Dach sah, würgte Rose Ekel. Samy drückte sie fest an sich.
    »Es ist alles vorbei, mein Kind. Das verspreche ich dir. Dir tut keiner mehr weh. Es ist jammerschade, dass ich deinem Pascal nicht wenigstens einen kleinen Tritt in seinen Hintern verpassen kann.« »Ich glaube, du würdest das tatsächlich tun, Samy.« Madame Versagne schlief an diesem Morgen, an dem der Zorn ihre schwarze Seele nachhaltig versengen sollte, einen noch tieferen Rausch aus als an allen anderen Tagen, die Rose unter ihrem Dach verbracht hatte. Beim Zubettgehen hatte Madame mit ihrer Männerfaust auf die Tür der kleinen Kammer geschlagen und laut geschworen, binnen drei Tagen sei die unliebsame Mieterin, die da monatelang logiert hatte, entweder ausgezogen oder Futter für die Fische. Zum Zeitpunkt des tatsächlichen Exodus hörte sie jedoch weder den Schlüssel im Schloss noch die Schritte eines mutigen Mannes. Ihr entging auch der Lärm, als Rose in der Aufregung des Packens den kleinen runden Tisch umwarf und ein noch halb gefülltes Wasserglas auf dem Boden zerschellte. In Samy, der sich während der langen Nacht ein sehr genaues Bild von Madames Charakter gemacht hatte, erwachte das Kind im Manne. Als Rose das letzte Wäschestück in ihren Koffer stopfte, drehte er das Bild eines rotwangigen Mönchs mit Bierhumpen zur Wand, verknotete die beiden dreckigen Gardinenhälften fest ineinander und ritzte mit seinem Taschenmesser und immer noch fixer Bubenhand zwei Kissen ein - bei der geringsten Berührung würden die Federn fliegen.
    »Samy, ich liebe dich«, flüsterte Rose. Es war noch keine vierundzwanzig Stunden her, dass sie sich vorgenommen hatte, nie mehr an die Liebe zu denken.
    »Erzähl das bloß nicht deiner Großmutter«, riet Samy, »die ist imstande, uns beide zu verhauen.«
    »Granny hat in ihrem ganzen Leben noch keinen verhauen. Nur einmal zu meinem vierten Geburtstag den Tisch im Esszimmer. Ich hatte mir an seinem Bein den Kopf gestoßen. Mann, ich wäre gern wieder vier!« »Ich nicht. Da müsste ich alles, was ich erlebt habe, noch einmal erleben.«
    Am Flughafen erregten der kleine weißhaarige Mann mit Bauchansatz, der sich schwer atmend mit einem Koffer in jeder Hand abmühte, und die hochschwangere Frau mit dem Kindergesicht und dem schwerfälligen Gang mindestens die gleiche Aufmerksamkeit wie eine fünfzig Mann starke Kappelle. Die Musiker in weißer Uniform waren abkommandiert worden, einen Marineadmiral zu empfangen, und probten vor seiner Ankunft ihr gesamtes Repertoire. Die werdende Mutter mobilisierte Schutzinstinkte, die gewöhnlich nur sehr großäugigen Babys und winselnden Jungtieren entgegengebracht werden. Als einziges Gepäckstück trug Rose den großen Wandkalender mit dem Hasen Peter Rabbit, der sie in ihr Liebesexil begleitet hatte. Trotz ihrer Leibesfülle sah Rose zerbrechlich aus und so blass, dass jede Frau, die selbst geboren hatte, das Bedürfnis empfand, die Kindfrau im schmuddeligen Herrenhemd in die Arme zu schließen und umgehend eine Hebamme zu rufen. Auch mit Samy, der immer wieder beruhigend auf Rose einredete, wurde gelitten. Die Blicke waren teilnahmsvoll, so manches Lächeln aufmunternd. Kirchgänger und Kunstkenner dachten an die Bilder von Josef und der schwangeren Maria auf der Flucht, zwei Schülerinnen aus Glasgow an das, was sie in der Vorwoche im Kurs für erste Hilfe gelernt hatten.
    Die Einzige, die ihr Mitleid streng rationierte, war eine ältliche Angestellte der Luftfahrtlinie. Sie war eigens an den Schalter geholt worden, an dem Samy und Rose nach drei umständlichen Rückfragen schließlich landeten. Die Frau sah das ungewöhnliche Paar misstrauisch an. Ihre Augen waren auffallend klein, der Haarknoten im Nacken auffal-lend groß. Die Frisur sorgte in Rose’ Gedächtnis für eine verblüffende Ähnlichkeit mit ihrer ungeliebten Französischlehrerin, und es stellte sich umgehend heraus, dass diese Duplizität äußerst schädlich für die Psyche war. Noch weinte sie lautlos. Die strikte Mademoiselle wurde nicht allein wegen ihrer Englischkenntnisse von ihren Vorgesetzten geschätzt. Sie war für Reisende ohne Flugtickets zuständig; es hieß, sie hätte einen

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