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Und das Glück ist anderswo

Titel: Und das Glück ist anderswo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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braunen Mütze nahm ihm den Koffer aus der Hand und stellte das bescheidene Gepäckstück an eine Säule - neben eine chinesische Bodenvase mit üppig blühendem Rittersporn. Eine Gruppe von laut verhandelnden Touristen war gerade dabei, sich anzumelden. Samy war unendlich erleichtert, die Leute Englisch sprechen zu hören. Er drehte sich, ohne Absicht und bestimmt nicht, weil er übermütig oder leichten Sinnes war, um die eigene Achse. Da entdeckte er die Katze. Sie war mindestens doppelt so groß wie Mieze, langhaarig, von einem zarten Kupferrot und mit einem Gesicht, das Samy an die Bilder von der Sphinx erinnerte, mit denen Reisebüros für Touren nach Ägypten warben. Die wohlgenährte Katzenmonarchin thronte unter dem größten Kronleuchter, den Samy je gesehen hatte, auf einem Sofa aus hellem roten Samt. Das imposante Möbelstück, das den unglaublich großen Raum dominierte, bildete einen riesigen Halbkreis und stand vor Glasvitrinen mit Kristallobjekten. Kein Laut war zu hören.
    Ohne den Bordeaux, der ihn zwar schläfrig machte, aber auch auf eine Art verwegen, die äußerst untypisch für ihn war, hätte Samy ganz bestimmt nicht der Versuchung nachgegeben, sich unaufgefordert in einem der berühmtesten Grandhotels der Welt auf ein Samtsofa zu setzen. Ehe er jedoch dazu kam, sich in die Schranken zu weisen, hatte er bereits den kobaltblauen Teppich mit der goldfarbenen Einfassung betreten, von dem er Jahre später in einem Hotelführer las, er wäre, ebenso wie der prachtvolle Kronleuchter, eine Sonderanfertigung für das Negresco gewesen.
    Die Katze hieß, was ihr Bewunderer von der britischen Insel nie erfahren sollte, Minouche. Aufgewachsen war sie in Luxus, verköstigt wurde sie von Sternenköchen. Die Hände, die sie streichelten, dufteten nach Rosen, Jasmin und Moschus. Gäste, die sowohl gebildet als auch phantasievoll waren, hielten Minouche für die Reinkarnation der ägyptischen Göttin Bastet. Tatsächlich war sie eine ganz ordinäre Plaudertasche aus der Gattung der Feliden, und sie ging keinem Schwätzchen aus dem Weg. Kaum dass sich Samy auf ihr Sofa gesetzt hatte, rückte Madame Minouche so nahe an ihn heran, dass er nach seiner Rückkehr immense Mühe hatte, Martha die Herkunft der feinen kupferroten Seidenhaare auf seinem dunklen Jackett glaubhaft zu erklären. Zu Hause, als er wieder lachen konnte und seine geliebte Mieze auf dem Schoß hielt, kam Samy allerdings zu dem Schluss, nicht er, der bestimmt nach Angst und Unsicherheit gerochen hätte, hätte die Katzenschönheit für sich eingenommen, sondern der Hühnersandwich.
    »Auch so ein Luxusgeschöpf«, erinnerte er sich noch in der Nacht der Nächte auf dem Flur des Krankenhauses in Hampstead, »hat mal Verlangen nach richtiger Hausmannskost.«
    Er kredenzte ihr einen Zipfel seines Reiseproviants. Sie spuckte das englische Weißbrot, das noch nie einem lebenden Wesen in Frankreich gemundet hat, auf sein Knie und kaute genüsslich am Huhn. Dann schliefen sie beide ein, die Katze satt und augenscheinlich überzeugt von der unerwarteten Probe aus Marthas Küche. Samy war der Meinung, ein paar Minuten Entspannung würden ihm genügen, um den verstörenden Gedanken loszuwerden, dass es doch wesentlich gescheiter gewesen wäre, Rose von ihrem Vater suchen zu lassen statt von einem hilflosen alten Mann, der sich im Flugzeug Jakobsmuscheln andrehen ließ. Emil sprach gut Französisch und hatte einen strapazierfähigen Magen.
    Höchstwahrscheinlich wäre Samy die ganze Nacht nicht mehr wach geworden, hätte Minouche nicht so laut geschnurrt. Als sie Samy zurück ins Leben holte, hielt er die dunkle Tonfolge für Radiomusik. Ein paar Sekunden lang wusste er nicht, wo er war. Danach bemerkte er gleich drei Dinge auf einmal. Die Empfangshalle, in der er die englischen Touristen gesehen hatte, war menschenleer, sein Koffer stand immer noch vor der chinesischen Bodenvase mit dem Rittersporn, und er hatte einen so quälenden Hunger wie sonst nur am Jom Kippur nach vierundzwanzig Stunden Fasten. Einen Moment überlegte er, ob er wenigstens eine der beiden Bananen auf der roten Samtcouch essen könnte, ehe ihm übel wurde, aber die Vorstellung, einer vom Personal könnte ihn dabei beobachten und ihn gar zur Rede stellen, versetzte ihn in Panik. Er stand auf und klemmte die Tüte mit dem Proviant unter den linken Arm.
    Er nahm sich noch nicht einmal genügend Zeit, Minouche für ihre Zärtlichkeit und Liebenswürdigkeit zu danken. Er hauchte ihr nur

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