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Und das Glück ist anderswo

Titel: Und das Glück ist anderswo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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üblichen willkommen heißenden »Jambo« zu begrüßen, fragte der Mann in einem harten Englisch: »Wer schickt euch?« Er nahm die Rechte aus der Tasche und zerschnitt die Luft mit der Panga. Auf seinem Handrücken eiterte eine Wunde. Zwei Zähne fehlten ihm.
    Es war das erste Mal in ihrem Leben, dass Liesel bedauerte, sich nie die Mühe gemacht zu haben, Suaheli zu lernen, um mit den Menschen von Kenia in ihrer Sprache zu reden. Die Vorstellung machte ihr Angst, sie würde das klärende Wort zu spät finden, und sie musste sich sehr beherrschen, nicht zu Rose zu laufen, um sie im Falle eines Angriffs mit dem eigenen Körper zu schützen. Sie spürte, dass die Hände zitterten. Ihr wurde übel und schwindlig, und doch lähmte sie die Panik nicht länger als den Moment, den sie brauchte, um sich an die Kraft und die Courage ihrer Jugend zu erinnern.
    Liesel begann, dem Mann von ihrer Familie zu berichten und wie die auf die Farm gekommen war. Sie erzählte von den Jahren der Arbeit und Hoffnung, von Ernten und Enttäuschungen. Ihre Zunge stolperte kein einziges Mal, obgleich sie so schnell sprach, dass ihr Zuhörer sich immer wieder die Ohren rieb. Sie segnete die Angst, die Rose stumm machte, und sie dankte dem Schicksal, dass Davids Instinkt seine Lippen versiegelte. Allerdings konzentrierte sie sich so sehr darauf, das Wort für den Aufstand der Kikuyu - »Mau-Mau« - zu vermeiden, dass sie es schließlich doch gebrauchte. Der Mann kniff die Augen zusammen.
    »Und jetzt wollt ihr das Haus zurückhaben«, sagte er. Er fragte nicht, er stellte fest.
    »Aber nein. Ich wollte nur einmal auf der Bank sitzen«, beruhigte ihn Liesel. Erst nach der Rückkehr nach Nairobi fragte sie sich, weshalb ihr ausgerechnet da die Bank eingefallen war, auf der sie und June den Tag zu verabschieden pflegten.
    Der Mann lachte Hohn, und doch vergaß er nicht, die Stimme zu ölen, als er fragte: »Bist du aus London gekommen, um auf meiner Bank zu sitzen?« Er machte die Panga vom Gürtel los und zeigte auf Emil. »Kann der da auch sprechen?«
    »Meine Frau hat vergessen, mich zu fragen«, sagte Emil. Er wollte mit dem rechten Auge zwinkern und einen weiteren Scherz machen, doch ihm fiel keiner mehr ein, und sein Auge gehorchte ihm nicht.
    »Da«, sagte der Mann, »ist die Bank. Und da ist meine Uhr.« Er klopfte auf seinen Arm. »Fünf Minuten«, sagte er. »In Londiani mögen wir es nicht, wenn die Menschen von gestern vor unserer Tür stehen.« Er machte eine Bewegung, von der jeder der vier hoffte, er hätte sie falsch gedeutet.
    Von den fünf Minuten vergeudete Liesel zwei. Sie dachte an die gackernden Truthähne, die Federbetten aus Cham, die in blau-weiß karierten Bezügen auf dem Rasen gelegen hatten, und dass sie in einer Silvesternacht einmal versucht hatte, »Blaukraut bleibt Blaukraut« zu sagen. Als sie sich an den Abschied von der schreienden June im Bahnhof von Nairobi erinnerte, zerriss ihr Herz. Wie damals.
    »Wollt ihr nicht schon vorgehen zum Auto?«, schlug sie vor. David, der Feinfühlige, verstand. Er nahm Rose’ Hand, und weil die immer noch Angst hatte, ließ sie es geschehen und trottete mit.
    Emil aber wusste, was ein Mann zu tun hat, dem der Ausweg versperrt ist. Trotzdem lächelte er. »Du hast an June gedacht, nicht wahr?«, fragte er.
    »Ja, wie sie auf meinem Schoß gesessen hat und unsere Truthähne Wut spuckten.« »Bei mir hat sie auch nur auf dem Schoß gesessen.«
    »Aber auf meinem Schoß war sie vier Jahre alt und auf deinem fast eine Frau.«
    »Dafür hat bei mir kein Truthahn Wut gespuckt. Nur du. Glaub mir, das ist schlimmer. Aus Truthähnen werden wunderbare Braten, aus eifersüchtigen Frauen Monster, die ein Leben lang nicht vergessen.«
    Sie wollte nicht lachen und tat es doch. Emil drückte sie an sich, obgleich der Mann mit der Panga keinen Meter von ihm entfernt war. »Ich war ein gottverdammter Trottel«, sagte er, »der zu viel getrunken hatte. Das wollte ich dir schon lange sagen. Manchmal bin ich ein bisschen umständlich. Aber ich gelobe, mich zu bessern.«
    »Bloß nicht. Ich hasse Veränderungen.«

Samy und Martha
    London, Frühjahr 1967
    Am 15. Mai 1967 schrieb David in sein Tagebuch »Heute ist schon die Hälfte unserer Ferien um. Ganz großer Jammer beim besten Schüler von Rabbi White. In Afrika vergeht die Zeit doppelt so schnell wie zu Hause. Ich hätte nie gedacht, dass mir das Leid tut. Wenigstens wird sich Granny freuen, wenn wir in einer Woche wieder da sind. Die arme

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