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Und das Glück ist anderswo

Titel: Und das Glück ist anderswo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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Mördern entkommen, hatte das Haus gebaut - im bayerischen Stil und befrachtet mit Gefühlen, die ihre Eltern, die Tanten und Onkel als steinschweres Erbe in ihr afrikanisches Leben schleppten. Sie hatten Blumen um die Fensterrahmen malen lassen und Balkons vor die Schlafräume gebaut, und dort waren Geranien in Tontöpfen aus Cham gewachsen. Liesels Mutter hatte ihrem Schwiegersohn erzählt, dass sie einmal in einer schlaflosen Nacht in den Garten gegangen war und einen bangen Moment lang geglaubt hätte, sie wäre noch in Cham. »So sentimental war man in der ersten Zeit der Emigration«, hatte sie gesagt, »und so verdammt dämlich.« »So liebenswert wie heute«, hatte Emil widersprochen, »und so verdammt klug.« Er dachte an das Gespräch, während er abwechselnd das Haus und seine Frau anschaute, und er grübelte, welche von seinen Empfindungen er in London mit seiner Schwiegermutter teilen würde.
    Von den gemalten Blumen um die Fensterrahmen war nichts mehr zu sehen, die Balkons waren abgehackt, der Garten, einst das Schmuckstück der Region, nicht wiederzuerkennen. Nach dem Krieg, als die Ressentiments gegen die jüdischen Einwanderer aus Deutschland allmählich nachzulassen begannen, war der Garten der Familie Freund sogar in der Wochenendausgabe vom »East African Standard« abgebildet worden. Als June und ihre Mutter die Farm Ende der fünfziger Jahre verließen, waren in den veilchenumsäumten Beeten Rosen, Nelken, riesiges Löwenmaul, Hibiskus und mannshohe Feuerlilien gewachsen. Liesel kannte das Foto, das letzte, das Junes Vater vor seinem Tod aufgenommen hatte. Sie dachte an die Passionsfrüchte, die zu ihrer Zeit am Vorderzaun hochgeklettert waren, und an die Ananas hinter dem Haus, aus denen ihre Mutter »Apfelküchlein wie zu Hause« gebacken und das Kompott für den Sabbat gekocht hatte.
    »Lass uns aussteigen«, schlug Emil vor. »Ich könnte mir denken, dass die neuen Besitzer es nicht gern sehen, wenn man bei ihnen wie eine Besatzungstruppe vorfährt.«
    »Ich könnte mir denken, dass sie es überhaupt nicht gern sehen, wenn man bei ihnen vorfährt und erklärt, ich habe früher hier gewohnt«, sagte Liesel patzig. »Falls es deinem optimistischen Auge entgangen ist, mein so genanntes Elternhaus ist mit Stacheldraht verbarrikadiert.«
    Sie konnte sich nicht entscheiden, welches Verlangen in ihr stärker brannte: Ihren Mann für seine Idee, nach Londiani zu fahren, wie einen nassen Teppich auszuklopfen, oder sich auf der Stelle in Luft aufzulösen. War sie nicht jahrelang auf der Nakuru School dazu erzogen worden, anderer Menschen Privatsphäre als höchstes Gut zu achten? »Wie hieß der Mensch, der sagte, >störe meine Kreise nicht    »Procter«, antwortete Emil munter. »Emil Procter, wenn er die Sonntagszeitung lesen will.«
    Der Nelkenduft war verweht. Nun scharrten schwarzbraune Hühner zwischen Steinbrocken und Erdklumpen, eine Ziege meckerte dünn. Grüne Bohnen krochen an einem Drahtgitter empor, in den ehemaligen Blumenbeeten wuchs Mais. Küchenreste verfaulten in einem alten Reifen. In einem rostigen Fass hatte sich braunes Wasser angesammelt. Der Geruch von Verwesung war überall. Ein junges Mädchen kam mit einer breiten Schüssel aus dem Haus und schleuderte eine seifige Flüssigkeit auf die Bohnen. »Blöde Gans«, erregte sich Liesel. »Keine Pflanze auf der Welt verträgt so ein Wasser. Das wusste ich schon als Siebenjährige. Mensch, das sehe ich ja eben erst. Kaum eins der Fenster hat noch Glas.«
    »Und dem Haus«, sekundierte Rose in genau dem gleichen Ton, »fehlt das Dach. Was haben wir hier eigentlich vor?« »Frag deinen Vater.«
    »Wieso ihn? Ich denk, du warst mal hier zu Hause.«
    »Und unsere liebe June«, sagte David. Seine Mutter bemerkte, dass er wie ein Mann grinste und nicht wie ein Knabe. Sie schaute Emil an, doch Emil war nie einer gewesen, der sich in eine Falle locken ließ und Fragen beantwortete, die nur die Augen stellten.
    Ohne dass ihn einer der vier hatte kommen sehen, tauchte ein Mann am Stacheldrahtzaun auf. Er schien jung und kräftig. Sein Gesicht war von einer tief ins Gesicht gezogenen Wollmütze verdeckt. Am Kinn leuchtete eine lange Narbe. Von seinem Gürtel baumelte eine Panga mit blitzender Schneide. Liesel fiel spontan ein, dass Pangas zwei Seelen hatten: Die friedlichen schlugen Pfade durch unwegsames Gelände, die nach Blut dürstenden töteten ihr Opfer mit einem einzigen Hieb. Statt die Fremden mit dem

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