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Und das Glück ist anderswo

Titel: Und das Glück ist anderswo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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das nur zum Frühjahrsputz geöffnet wurde, weil es seit der letzten Renovierung klemmte, wäre der Frieden noch stundenlang gewahrt worden. Und hätte die lärmempfindliche Liesel nicht den Drang gehabt, jedes störende Geräusch auf der Stelle abzustellen, wäre sie rechtzeitig und vergnügt wie immer, weil die Tätigkeit mit den Jugendlichen ihr Freude machte, zum Arbeitsbeginn bei der Berufsberatung in der Finchley Road aufgebrochen. So aber zog sie gar nicht erst los. Vier Wochen lang nicht. Vier Wochen mit achtundzwanzig Nächten, einer Gastritis und einem Mann neben sich, der sich nachts, wenn er sich vor Entdeckung geschützt wähnte, in den Schlaf weinte.
    Noch vor dem weit aufgerissenen Fenster mit seinem enervierenden Quietschen, das Liesel später als menschenverachtend beschrieb, obwohl gerade sie Übertreibungen verabscheute, fiel ihr der helle Fleck an der gelb getönten Wand auf. Sie brauchte mindestens zwei Minuten, ehe sie die Bedeutung des leuchtenden Rechtecks erfasste. Der Kalender mit dem lustigen Hasen, der elf Jahre lang zwischen einem Spiegel in einem breiten Silberrahmen und einem Poster von einem Musiker mit einem blutigen Messer im Mund durchs Leben gehoppelt war, hing nicht mehr an der Wand. Zunächst deutete nichts darauf hin, dass Rose ebenfalls entschwunden war.
    Noch nicht so verwundert, wie sie in Anbetracht ihrer Allergie gegen Veränderungen hätte sein müssen, registrierte Liesel, dass ihre Tochter, wie eine tugendsame
    Hausfrau der alten Schule, die Tagesdecke aus geblümtem Leinen stramm über ihr Bett gezogen hatte. Die rechte Seite nicht länger als die linke, nirgends eine Falte. Eine Puppe mit niedlichem Porzellangesicht, die Rose als Kind abgöttisch geliebt hatte und von der Liesel vor dem höchsten Gericht des Landes einen Eid geschworen hätte, sie wäre in einen Basar zugunsten eines Kindergartens in Tel Aviv gewandert, saß auf zwei aufeinander gestapelten Kissen. In ihrem königsblauen Samtkleid, mit weißem Spitzenhäubchen, hellbraunen Korkenzieherlocken und ihrem Thron aus zitronengelber Seide wirkte die Puppe wie eine Erscheinung aus der Zeit der Königin Victoria. Stirnrunzelnd starrte Liesel auf das Puppenkleid mit dem gestickten Oberteil. Mit einem Mal fühlte sie sich nicht wohl.
    Sie merkte, dass sie fröstelte und ihre Kehle trocken war. Die Augen drückten in den Höhlen, ein erstes Pochen erreichte Herz und Schläfen. Noch läutete die Glocke leise Alarm. Liesel erinnerte sich, dass Rose jedes Mal die gelben Kissen eilig im Schrank zu verstecken pflegte, wenn ihre Freundin Betsy unangemeldet zu Besuch kam. Ein wenig schuldbewusst ob der Indiskretion, zu der sie ein quietschendes Fenster getrieben hatte, aber doch mit einem wehmütigen Lächeln im Gedenken an die zärtliche kleine Rose mit ihrer Puppe, ertappte sich Liesel bei dem Einfall, den Fotoapparat aus Emils Schreibtisch zu holen und die nostalgische Exkursion ihrer Tochter in die Vergangenheit zu dokumentieren - als einen allzeit gültigen Beweis, dass niemand auf Dauer seiner ursprünglichen Veranlagung entkommt.
    Es beschäftigte Liesel oft, dass die Zeit sich permanent verändert, aber dass die Menschen doch bleiben, was sie immer gewesen sind. Den Gedanken hatte sie stets als beruhigend empfunden, als eine Lebensstütze, auf die Verlass war, doch dieses Mal verweigerte ihr die zuverlässige Stütze den gewohnten Halt. Liesel begriff, dass ihre Tochter perfekt in die Schablone derer passte, die sich immer gleich bleiben. Mochte die aufmüpfige Achtzehnjährige um jeden Zentimeter ihrer Rocklänge so hitzig streiten, als gelte es, alle Geknechteten dieser Welt zu befreien, sie blieb eine nach Romantik dürstende Seele, ein naives Kind, das glaubte, vom Himmel würde es eines Tages Glückssterne regnen und von den Bäumen Schmetterlinge. Mochte sich Rose mit neuen Jeans stundenlang in die gefüllte Badewanne legen und zweimal eine Nierenbeckenentzündung holen, damit die Hosen noch enger und aufreizender an ihren Hüften klebten, als sie es ohnehin taten, und mochte sie sich in jedes Schlagwort der rebellischen Sechziger verlieben, sie würde immer eine Kleinbürgerin bleiben, schön, spießig und so leicht zu durchschauen wie eine Zeichnung auf durchsichtigem Papier.
    »Aber sehr, sehr liebenswert«, schränkte Liesel erschrocken ein. Sie sprach zu energisch für eine, die ein zu harsches Urteil über ihr Kind mildern will, und sie schüttelte wohl auch zu heftig den Kopf. Wie sonst auch,

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