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Und das Glück ist anderswo

Titel: Und das Glück ist anderswo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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Zufall allein bestimmt. Seitdem seine
    Schwester nicht mehr mit am Tisch saß, hatte David die Liebe von Mutter und Vater allein tragen müssen, dazu ihre Verzweiflung, die Blicke, die Rose’ leerem Stuhl galten, und die nie endenden rhetorischen Fragen und Grübeleien, wie es ihr wohl gerade in dem Moment erging, da zu Hause die Sabbatkerzen angezündet wurden. Er hätte, das wurde David klar, als es zur Umkehr ohnehin zu spät war, auch dann mit seinen Eltern gesprochen, wenn er Miriam nicht kennen gelernt hätte.
    Er wartete, in Spannung und so reuevoll, als hätte er sich tatsächlich einer Sünde wider Vater und Mutter schuldig gemacht, bis Donnerstag. Dann erzählte er von der Sabbateinladung bei Rabbi Myers. Davids schlimmste Befürchtungen wurden noch übertroffen. Seine Mutter war nicht nur erwartungsgemäß konsterniert und enttäuscht, sie war fassungslos. Alle Farbe wich aus ihrem Gesicht. Sie selbst wich, was sie nicht zu merken schien, einen Schritt von ihrem Sohn zurück und murmelte die ganze Zeit wie eine alte Frau vor sich hin, die ihre Einsamkeit und ihre Angst mit der eigenen Stimme bekämpft. Einen Moment hielt Liesel ihre Hände vor ihr Gesicht, als müsste sie sich vor Schlägen schützen. »Du auch?«, fragte sie, schob die Schüssel, in der sie gerührt hatte, wütend von einem Ende des Tischs zum anderen und rannte aus der Küche. Ihr Sohn setzte an, der Mutter nachzugehen, aber seine Füße klebten am Boden.
    Sein Vater sagte nichts, als David mit ihm sprach. Obwohl er es nicht vorgehabt hatte, erzählte der Sohn von der Szene in der Küche. Emil sagte nichts. Er starrte zum Fenster hinaus in das verschwindende Licht des unglückseligen Tages. Beklommen fühlte David, dass sein Vater nicht in der Gegenwart geblieben war. Er stand am Wiener Westbahnhof, ein verwirrter Junge von zehn Jahren mit einem Leberwurstbrot in der Hand und einem Schild um den Hals, und war von seinen Eltern in die rettende Fremde geschickt worden.
    »Sorry«, sagte David, als wollte er sich entschuldigen, weil er dem Vater auf den Fuß getreten hatte.
    »Du hast immer ganz schnell Sorry gesagt«, erinnerte sich Emil, »auch wenn es gar nicht nötig war.«
    Liesel ging unmittelbar nach dem Abendessen, das keiner der drei angerührt hatte, zu Bett. Die beiden Männer saßen vor dem dunklen Fernsehschirm und wagten nicht, einander anzuschauen. Nur die Ohren fanden Erlösung. Der Vater, der nie seine Stimme erhoben und nie den Funken des Zorns in seine Augen gelassen hatte, räusperte sich. »Musste es jetzt sein, David?«, fragte er. »Gerade jetzt, wo Rose uns verlassen hat?«
    »Ich verlasse euch nicht. Ich habe eine Einladung zum Sabbat angenommen. Mehr nicht.«
    »Zwing du mich nicht auch, mich zu belügen. Vielleicht weißt du es noch nicht. Wenn ein Sohn wie du nicht mehr am Sabbat mit uns am Tisch sitzen will, ist er zum Aufbruch bereit. Du warst nicht vorsichtig genug in der Wahl deiner Eltern, David. Sie lieben dich zu sehr. Das schafft Bindungen, und Bindungen sind Ketten. Besonders in jüdischen Familien. Die haben zu viel hergeben müssen. Die winken nicht und lächeln, wenn sie Abschied nehmen. Denen bricht selbst die kleinste Trennung das Herz. Mach es nicht wie deine Schwester, mein Sohn. Zweimal könnte das deine Mutter nicht ertragen.«
    »Rabbi Myers«, sagte David, »wohnt in Whitechapel, Dad. Das liegt nicht in Frankreich.«
    Weil sie beide lachten und eine Fröhlichkeit, die sie nicht erwartet hatten, sie wärmte und sie zu beschützen versprach, solange sie beschützt werden mussten, erzählte der Sohn dem Vater genau das, was er noch lange nicht hatte erzählen wollen. Vielleicht nie. Noch wusste er nicht, wohin sein Weg führte, doch schon sprach David von Miriam Myers und der Sehnsucht nach ihrer Welt der Frömmigkeit und des Lernens. Der Vater, dem der Sohn nie etwas hatte erklären müssen, verstand auch dieses Mal. Er begriff, dass David nicht mehr in der Welt leben konnte, die bis zu diesem Tag der Wahrheit die seinige gewesen war. »Es sind nur Träume«, bedauerte David. »Aus ihnen kann nie etwas werden. Wie soll ich dem Rabbi sagen, was ich für seine Tochter empfinde? Du und Mutter braucht euch wirklich keine Sorgen zu machen. Ich werde noch hier wohnen, wenn ich so alt bin wie Samy.«
    »Mach du dir keine Sorgen, David. Wenn du so alt bist wie Samy, wirst du deinen Enkeln erzählen, wie dich deine Eltern von zu Hause rausgeschmissen haben, weil sie dein Zimmer brauchten, um neue

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