Und das Glück ist anderswo
ihn, den eifrigen, von Rabbi White empfohlenen Tutor, dessen Tochter so sehr viel mehr beschäftigte als die Söhne, die er auf dem Pfad des Lernens zu begleiten hatte. Es führte ein anderer Regie. Der, der auf eine Antwort des Himmels lauerte, brauchte nicht lange auf den Beweis zu warten, dass das Schicksal seinen Plänen zustimmte. Bereits drei Tage nach der unverhofften Begegnung im Studierzimmer wurde David klar, dass das scheue Wesen, das mit einem Schälchen Honig in sein Leben gestampft war, künftig auch für ihn ein Teil der Gegenwart sein würde.
»Heute«, sagte Rabbi Myers, als er, wie üblich nachmittags um drei mit dem jungen, sympathischen, zurückhaltenden, wohlerzogenen Lehrer seines Sohns den Tee einnahm, »hat Miriam für uns den Kuchen gebacken«. Der Vater, der nicht anders als in den liberalen Familien, mit Stolz und Absicht von den hausfraulichen Tugenden seiner heiratsfähigen Tochter sprach, goss noch mehr von dem süßen Likör als sonst auf den gelb leuchtenden Kuchen. Er nickte David zu.
Die Bemerkung war nicht zufällig gemacht worden. Weitblickende Väter, die mit jungen Männern von Töchtern reden, für die es Zeit ist, das Elternhaus zu verlassen, tun das nicht deshalb, weil ihnen nichts von allgemeiner Bedeutung für die Menschheit eingefallen ist. Rabbi Myers wusste, was er wollte, und noch besser wusste er, was geboten war. Seit zwei Jahren machte er sich Gedanken, ja auch Sorgen um den Teil der Zukunft, den ein verantwortungsvoller Familienvater nicht dem Mächtigen allein überlassen mag. Es wurde Zeit, fand der Rabbi, seine älteste Tochter dem Mann zuzuführen, der sie heiraten würde - bevor in ihr der Wunsch erwachte, das Leben kennen zu lernen. Oder gar das, was die Menschen Liebe nannten. Verirrungen im Namen der Liebe geschahen neuerdings öfters. Schuld war die Zeit. Sie bot zu viele falsche Reize und zu große Verlockungen in den Abgrund, zu viele Möglichkeiten zum Ausbruch und zur Abkehr. Es war nicht mehr ratsam, sich nur auf Erziehung, Erfahrung und elterliche Klugheit zu verlassen. Rabbi Myers hörte nun häufig von Töchtern aus orthodoxem Haus, die erst einen Blick über den Zaun riskiert und dann für immer den Eltern die Möglichkeit genommen hatten, sich auf die Beschneidung ihres Enkelsohns zu freuen.
Für den Rabbi gab es aber auch noch einen anderen sehr wesentlichen Grund, sich mit Miriams Zukunft zu beschäftigen. Er wollte nicht irgendeinen beliebigen Schwiegersohn. Wozu einen, der nur auf ihren Fleiß und ihre geschickten Hände setzte? Weshalb die Tochter einem Mann überlassen, der von der kleinen Erbschaft wusste, die Rabbi Myers gemacht hatte und der also auf die Mitgift für die Tochter spekulierte? Es war dem Vater auch nicht wichtig, ob Miriam jemanden heiratete, der im richtigen Alter war, sie zu leiten und zu beschützen, oder ob der Mann es sich leisten konnte, seiner Frau Kleider aus Samt und sich selbst ein Auto mit vier Türen zu kaufen. Der Rabbi suchte keine Investition in die Zukunft. Es war einzig David, dem er die Tochter übergeben wollte. Der Allmächtige hatte ihm den rothaarigen jungen Mann nicht ohne Absicht ins Haus geschickt, und diese Absicht hatte Miriams Vater sofort begriffen.
Obgleich ihm nie ein Wort der Klage entschlüpft war, er nie geseufzt, sich noch nicht einmal gegrämt und sich schon gar nicht mit anderen glücklichen Vätern verglichen hatte, waren im Hause Myers nur die Töchter mit Klugheit bedacht worden. Die Söhne ließen keine Hoffnung im väterlichen Herz keimen. Nie würden sie ein Ziel erreichen, für das ein Vater noch mit seinem letzten Atemzug dem König der Welt dankte. Spätestens als Benjamin die Fragen zu Pessach nicht hatte erlernen können, hatte sich Rabbi Myers mit seinem Los abgefunden. In seinen Gebeten hatte er für den gesunden Körper seiner Söhne gedankt; seiner Sehnsucht nach der geistigen Erleuchtung seiner männlichen Nachkommen hatte er für immer Schweigen befohlen.
David war nicht nur fromm und eifrig und liebenswert. Er war klüger als die Klügsten, die der Rabbi kannte. Vor allem: Er war noch formbar. Er ließ sich lenken wie die aus Wachs, die nicht zu widersprechen gelernt haben. Von dem Augenblick an, da Rabbi Myers zum ersten Mal Zeuge geworden war, wie geduldig und behutsam der junge Lehrer mit Simon umging, der nie klüger werden würde als ein Schaf, hatte der enttäuschte Vater David zum Sohn begehrt. Eine Zeit lang quälte ihn die Reue des Undankbaren. Es war ein
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