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Und das Glück ist anderswo

Titel: Und das Glück ist anderswo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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bald eine eigene Kreditkarte. Keck ängstigten sie ihre Mütter, die allzeit fürchteten, ihre Hätschelsöhne würden den warmen Schal vergessen oder ihr Leben in einem fremden Bett riskieren. Dieselben Mütter, die Tränen für ein legitimes Mittel hielten, um das Verhalten der Söhne nach ihren Wünschen zu regulieren, waren gerührt, wenn diese Söhne sie küssten und ihnen zusicherten, dass sie ihr Leben lang nie eine Frau so lieben würden wie die sich aufopfernde Frau, die sie geboren hatte.
    Die Väter hätten jeden Eid geschworen, dass sie sich genau solche Söhne, wie sie ihnen Gott beschert hatte, immer gewünscht hatten, denn die Söhne waren zwar verzogen und anspruchsvoll und als Kinder unleidliche Tyrannen, doch sie waren gutmütig und ihren Eltern gegenüber so rücksichtsvoll, wie es nur die sein können, die früh zu durchschauen gelernt haben. Die Söhne - und auch die Töchter - waren sich nämlich allzeit bewusst, weshalb sie ein Vierteljahrhundert nach dem Krieg immer noch als ein Wunder gefeiert wurden. Es war das Wunder, das Gott an den Überlebenden hatte geschehen lassen. Auch in England, das im Krieg von deutschen Truppen verschont geblieben war, gab es sehr viele jüdische Familien, die Angehörige in den deutschen Konzentrationslagern verloren hatten. David, dessen Großeltern väterlicherseits aus ihrer Wohnung in Wien in einen Viehwaggon Richtung Auschwitz verschleppt worden waren, war einer von vielen.
    Die, die es betraf, sprachen nicht über die Vergangenheit. Sie schauten auch nicht zurück. Schon gar nicht in der aufgeklärten Welt der Liberalen, die es für Elternpflicht hält, die Kinder von Belastendem und Schrecklichem fern zu halten. Meisterhaft spielten die wissenden Schweigenden ihre Rolle als vergötterte Söhne. Ihnen war es wichtig, ob ihre Hosen gut saßen und wie ihre Frisuren, wen sie zu ihren Freunden zählten und wer Zeuge ihrer Erfolge war. Nur mit der Schönsten der Schönen wollten sie gesehen werden. In endloser, nebulöser, wohltuender Ferne lag aber für sie der Tag, da sie den beschützenden Horst aus Verdrängung und Elternliebe verlassen würden, um zu heiraten. Und war es schließlich unvermeidbar, dass die endlich flüggen Vögel goldene Eheringe und schwarze Hochzeitsanzüge bestellten und ihnen die bewegten Eltern Häuser kauften oder Hilfe leisteten, eine dem Familienprestige adäquate Wohnung anzumieten, dann entschieden sie sich bestimmt nicht für Frauen aus orthodoxem Hause, deren Namen sie nicht kannten und die kein Vermögen hatten außer ihrem frommen Herzen.
    David war mit Eltern bedacht worden, die ihn zwar verwöhnten und gewähren ließen, ihn jedoch nicht auf den Thron stellten, der in den Kinderzimmern des jüdischen Bürgertums zur Grundausstattung gehört. Trotzdem machte er sich keine Illusionen. Unmittelbar nachdem er den Entschluss gefasst hatte, durch eine frühe Heirat aus seiner Welt auszubrechen, wurde ihm klar, dass sein Dilemma selbst für Gott eine unzumutbare Herausforderung werden würde. Mochte er seine Phantasie mit all der Kraft antreiben, die in ihm war, und mochte er seinen Schöpfer bis zum Ende seiner Tage um Beistand und Erleuchtung anflehen, David konnte sich nicht vorstellen, wie es ihm je gelingen würde, durch den nachtschwarzen Tunnel ans rettende Licht zu gelangen.
    Seine Mutter hielt Logik für den Hauptpfeiler allen Seins, Vernunft für Lebenssaft. Sie wollte Beweise wie in der
    Mathematik sehen, ehe sie zu glauben bereit war. Auch der Vater war ein Skeptiker. Er wurde misstrauisch, sobald die Nadel des Lebenskompasses in eine andere Richtung als die erwartete auszuschlagen begann. Und er hatte Erfahrungen gemacht, die ihren Zugriff auf den, der sie machen musste, nie lockern. Weil ihm zwei Monate nach seinem zehnten Geburtstag die Eltern genommen worden waren, hatte sich dieser skeptische, misstrauische, unendlich liebevolle Vater als Kind Tag für Tag geschworen, er würde später alles Menschenmögliche tun, um die eigenen Kinder vor allem zu schützen, das das Leben verdüstert.
    Wie diesen besonderen Eltern von der Rabbinerstochter in schwarzen Wollstrümpfen erzählen, mit der sich ihr einziger Sohn, schon im Kinderwagen das ersehnte Wunderkind, seine Zukunft erträumte? Wie dafür sorgen, dass Lie-sel und Emil Procter ohne das Gefühl weiterleben könnten, sie hätten ihren Sohn so endgültig verloren wie ihre Tochter?
    David konnte sich ebenso wenig vorstellen, wie er Rabbi Myers beibringen sollte, dass

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