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Und das Glück ist anderswo

Titel: Und das Glück ist anderswo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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Schreibtische aufzustellen.«
    Wie in den meisten Familien, hatte der Vater Recht, und der Sohn täuschte sich. Es wurde nicht nötig, mit Rabbi Myers über Träume, Sehnsucht und Zukunft zu sprechen. David musste sich nur mit einer besonderen Eigenschaft des Rabbis vertraut machen. Der pflegte diffizile Probleme zu lösen, indem er Themen, die im Gespräch hätten unangenehm werden können, als bekannt und bereits in Einverständlichkeit gelöst voraussetzte.
    So kam es, dass er am Tag der Entscheidung, einen einzigen Satz sagte und David dabei väterlich auf die Schulter klopfte. »Deine Stelle als Lehrer in der orthodoxen Schule wird nächsten Monat frei«, erklärte er.

Zimmer mit Meeresblick
    Nizza, November 1970 - März 1971
    Noch ehe Rose in ihrem roten Taschenkalender die Bemerkung machte »Schon eine Woche in Nizza, brrrh!«, begrub sie den letzten Zipfel ihrer romantischen Träume von Mädchenhoffnung und Frauenglück. Dies geschah in dem kleinsten Zimmer, das sie je gesehen hatte. Es gehörte zu einem Haus mit Mauern, die irgendwann einmal ockergelb gewesen sein mussten. Auf dem Ziegeldach stand ein überlebensgroßer Storch aus Flanell. Der war ein Geschenk eines impulsiven Mannes aus Basel, der außer der Riviera auch das Elsass bereist und sich zum Prinzip gemacht hatte, sich schon unterwegs von allzu sperrigen Souvenirs zu trennen. In den guten Zeiten vor dem Ersten Weltkrieg hatte das gelbe Häuschen Feriengästen mit bescheidenem Einkommen und ebensolchen Ansprüchen als Quartier gedient. Damals war die Räumlichkeit, in der nun die neunzehnjährige Rose Procter aus London seit Monaten logierte und trotz aller eintreffenden Gegenbeweise immer noch auf das große Wunder hoffte, als Zimmer mit Meeresblick und Landluft angeboten und von den Feriengästen, in der Mehrzahl solchen aus England ohne ausreichende Vergleichsmöglichkeiten, auch geschätzt worden.
    Als Rose in die winzige Stube einzog, war das Haus von der
    ursprünglichen Besitzerin, einer ehrenwerten Schreinerswitwe, auf die Tochter übergegangen. Diese hatte, als Rose gezwungen wurde, ihre Bekanntschaft zu machen, nicht nur ihres Alters wegen mehr Vergangenheit als Zukunft vor sich. Ebendurch ihre bewegte Vergangenheit hatte sich Madame Jeanne Versagne, die Erbin der zweiten Generation, in ihrer Jugend besser darauf verstanden, ihren Körper zu vermieten als Gästezimmer der Unterklasse. Nun neigte sie dazu, ihren Körper zu vernachlässigen und zu hohe Preise für die Zimmer zu nehmen.
    Die Unterkunft, in der Rose nach ihrer überstürzten Abreise aus London gelandet war, war ebenso heruntergekommen wie das Haus. Das Zimmer roch nach Kampfer und nach der penetranten Seifenlauge, die dreimal pro Woche dem Putzwasser beigemischt wurde - eine Nichte der Hauswirtin war Putzfrau im Krankenhaus und beschaffte das Desinfektionsmittel noch unter dem Einkaufspreis. Besonders durchdringend war das Odium des selbstbewussten Katers Louis, der seine Nächte in den Gassen von Nizzas Altstadt und mit der Zerlegung von Fischköpfen, aber all seine Tage zu Hause verbrachte und Wert darauf legte, in regelmäßigen Abständen die Möbel als die seinigen zu kennzeichnen. Aufgrund einer Verwechslung, die typisch war für ein englisches Mädchen, war seit Rose’ Einzug eine neue Herausforderung für die überempfindliche Nase einer seelisch stark belasteten Schwangeren hinzugekommen. In der dritten Woche ihres Aufenthalts hatte sie einen für die Gegend typischen Brotaufstrich erworben. Der Farbe wegen hatte ihn Rose für Orangenmarmelade gehalten. Sie hatte auf ein mittelgroßes Glas gedeutet, das neben einem Gefäß mit gefüllten Oliven stand, worauf der recht betagte Besitzer eines ebenso betagten kleinen Lebensmittelgeschäfts ihr mit entmutigender Verwunderung das Gewünschte überreicht hatte. Nach Rose’ erstem Eindruck überstieg ihr Einkauf bei weitem den Preis, den sie in der Theorie für Orangenmarmelade veranschlagt hatte, doch sie wusste nicht, wie sie das dem Mann hinter der Theke hätte klar machen können. Er hatte bereits ihr Geld in seine altmodische Kasse gesteckt und anders, als sie berechnet hatte, kein Wechselgeld mehr herausgegeben. Das übel riechende Missverständnis entpuppte sich als eine Paste aus Fischrogen, was Rose freilich nicht so präzise hätte ausdrücken können. Ihrer wehmütigen Erinnerung nach hätte zu Hause allenfalls Samys Katze derlei für essbar befunden. Da Rose indes durchaus noch mit Tagen rechnete, die noch

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