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Und das Glück ist anderswo

Titel: Und das Glück ist anderswo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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bestieg keine Barrikaden mehr, sie ballte keine Faust, und sie sattelte nicht mehr ihr Feuerross, wenn sie in den Kampf zog. Aus der temperamentvoll fauchenden Löwin war ein Kaninchen geworden. Hatte sie Pascal auch nie als reißende Löwin erlebt, so witterte er doch mit dem feinen Instinkt eines Mannes, der einen bedrohlichen Angriff abwehren muss, die ungewöhnliche, äußerst angenehme Mutation. Rose’ geducktes Verhalten würde ihm den Weg, den es zu gehen galt, gewiss erleichtern. Pascal war weder roh noch von Natur aus gewissenlos. Er hatte fünf Geschwister, für die er immer mit seinen Fäusten eingetreten war. Seine Großmutter, deren Lieblingsenkel er war, hatte immer gesagt, ihr Goldjunge wäre viel zu gutmütig für eine Welt, die Gutmütigkeit nicht zu schätzen wüsste. Pascal wünschte der Kleinen aus London und dem Kind in ihrem Bauch wahrlich nichts Schlechtes; bestimmt würde er sogar eines Tages sein englisches Abenteuer als erotisch und als angemessen für einen jungen Mann empfinden, der nach Erfahrungen gestrebt hatte und selbst noch zu unwissend gewesen war, um keine Fehler zu machen. Nun war ihm aber daran gelegen, Rose so schnell und so kostengünstig wie möglich zurück in ihr englisches Stammhaus zu schicken - ohne Szenen und ohne Scherereien. Der Gutmütige war guten Mutes, dass er eine Lösung finden würde, und die beizeiten. Zwar wusste Pascal noch nicht, wie die Lösung im Detail aussehen sollte. Er hatte nach seiner Londonreise und weil er dort die Auszahlung seines Restlohnes nicht hatte abwarten können, nicht mehr genug Geld, um eine Bahnkarte nach London zu bezahlen. Es galt, abzuwarten und keine Ungeduld zu zeigen. Pascal war guter Hoffnung, dass der Vorschlag zur Heimkehr schließlich von Rose kommen und sie dann auch auf die Idee bringen würde, ihre Eltern um Reisegeld zu bitten. Seitdem er erfahren hatte, dass Rose jüdisch war, war er in dieser Beziehung noch optimistischer geworden. »Juden«, sagte auch Madame Versagne, der Pascal erzählte, was er selbst erst seit einigen Tagen wusste, »lassen ihre Brut nie im Stich. Das fiel mir schon im Krieg auf. Die haben sich nicht von ihren Kindern getrennt, auch wenn sie von den Deutschen eingefangen und auf die Lastwagen verladen wurden. Wir haben immer gestaunt. Du wirst sehen, Mama und Papa aus London stehen bald vor der Tür, um ihr gefülltes Täubchen abzuholen.«
    »Hauptsache, sie lassen sich nicht Zeit, bis die Bombe geplatzt ist.«
    »Fruchtwasser, du dummer Kerl. So ein Mann hat ja nicht die geringste Ahnung, aus welcher Richtung die Gefahr kommt.«
    Es tat Pascal gut, in dieser für ihn so schwierigen Zeit mit Madame zu reden, nicht nur weil sie ihn mochte und er sie. Jeanne Versagne war ein bisschen wie daheim die Großmutter, derb, mütterlich und zupackend. Man konnte sich ihr anvertrauen, ohne dass sie sich gleich wie ein
    Truthahn aufplusterte oder moralisch entrüstete wie eine Nonne an der Klosterpforte, wenn der Teufel um einen Schluck Wasser bittet. Madame Versagne, der Pascal schon mal eine Flasche vom feinsten Rosé aus der Provence brachte, die ein Gast nur zur Hälfte leer getrunken hatte, und dann und wann auch ein Kalbsfilet dazu, das vor Monsieur Pierrots strengem Auge nicht bestanden hatte, hatte die rasche Auffassungsgabe einer gewieften Geschäftsfrau und einen Männerkopf. Der gab sich nicht mit Sentimentalitäten ab. Vor allem hatte Madame, die raffinierteste Zimmervermieterin zwischen St. Tropez und Menton, bei den wenigen Freunden, die sie hatte, ein Herz aus Gold. Ihr wäre es nie in den Sinn gekommen, sich an einem Freund zu bereichern oder ihm egoistische Ratschläge zu geben. War ihr auch so an Mietern gelegen wie morgens an einem frischen Baguette und abends an einem alten Burgunder, so sollte das nicht auf Pascals Kosten geschehen. Bei jedem seiner Besuche drängte ihn die Menschenfreundin, seinen Kopf nicht in den Sand zu stecken und endlich zu handeln.
    »Vor allem bei einer schwangeren Frau zählt jeder Tag, cher ami«, rechnete sie ihm vor. »Du kannst sie ja nicht, wenn sie nicht abgeholt wird, zum Bahnhof rollen und in den Zug setzen. Und wenn du mich fragst, haben wir keine vier Wochen mehr Zeit. Die Mädchen sind heutzutage offenbar auch noch zu blöd, um sich auszurechnen, in welchem Monat sie sind.« Madame zerfraß es das Herz, dass ein Junge, der ihr Enkel hätte sein können, dabei war, sich von einer Frau ins Unglück stürzen zu lassen. Diese Formulierung gebrauchte sie

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