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Und das Glück ist anderswo

Titel: Und das Glück ist anderswo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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seinen Chef noch nie so animiert und in so übersprudelnder Laune erlebt wie damals, und das nach einem Katastrophentag, an dem Lachsrollen mit Hechtschaum in Estragonsauce auf der Speisekarte gestanden hatten und in der ganzen Küche weder Hecht noch Estragon aufzutreiben gewesen war. Auf dem Heimweg, der durch ein elegantes Villenviertel führte, waren sie - ursprünglich nur zur Ablenkung und Entspannung - auf das Thema Frauen gekommen. Nach Pascals Schilderung vom kleinen Irrtum der feurigen Engländerin und Monsieurs Lachanfall waren sich die beiden Männer absolut einig gewesen, dass sich im Grunde in der Welt nichts geändert hatte, seitdem die Affen von den Bäumen heruntergestiegen waren. Ein Mann musste immer noch zusehen, dass er nicht vor der Zeit ins Netz ging. So feinsinnig hatte es Monsieur Pierrot ausgedrückt. »Es ist gut, dass du sofort abgefahren bist, Pascal. Bloß nicht aus Mitleid falsche Entschlüsse fassen. Das sollen die tun, die einen reichen Vater oder guten Anwalt haben. Optimal ist beides. Für unsereinen hat es keinen Sinn, in Frauenangelegenheiten den guten Menschen zu spielen.«
    Vor einem schmiedeeisernen Gartenzaun mit vergoldeten Spitzen hatte Pascal damals geschworen, und dies bei allen Heiligen, die er je bemüht hatte, er würde sein Lebtag nicht der etwas einfältigen englischen Miss die Besitzverhältnisse im Negresco auseinander setzen müssen. Als dann von Rose die Hiobsbotschaft eintraf, dass sie erstens schwanger und zweitens unterwegs zu ihm nach Nizza wäre, beschloss Pascal mit geballten Fäusten und allen Kräften, die er in sich wusste, er würde das Problem Rose so schnell, so elegant und so diskret wie möglich lösen. Im Bahnhof von Nizza zitierte er seinen Chef. »So dumm kann ein Mensch gar nicht sein«, sagte er, »auch eine Frau nicht.«
    Trotz der sich anbahnenden Verwicklungen gab er Rose, die ihm im Übrigen längst nicht so hübsch erschien, wie er sie in Erinnerung hatte, einen Begrüßungskuss. Seine Zunge stieß dabei auf den Rest einer salzigen Träne. Schneller als beabsichtigt verrutschte sein Lächeln. Sein Nacken er-schien ihm feucht, was sonst noch nicht einmal passierte, wenn er vor einem rotierenden Braten niederkniete. Es stellte sich indes sehr schnell heraus, dass Rose, die er da noch »Chérie« nannte, was sie mindestens in den ersten zwei Stunden für einen ganz ungewöhnlichen, sehr romantischen Liebesbeweis von einem Mann hielt, flexibler war, als sie Pascal eingeschätzt hatte. Er war erleichtert, dass Chérie sich darauf beschränkte, ihr Taschentuch zu zerknüllen, aber dann doch mit einem Minimum an Tränen auskam, wenn es darum ging, ihre Träume der Wirklichkeit anzupassen. Bereits in dem prekären Moment, da Pascal das Thema nur touchierte, kapierte Rose - allerdings mit einem unruhig klopfenden Herzen und plötzlich belegter Stimme -, dass sie nicht im Negresco wohnen sollte. Die Begründung für die Umquartierung verstand sie längst nicht so rasch: Sie befragte Pascal ein paar Mal und immer recht logisch nach den Einzelheiten ihrer Unterbringung bei Madame Versagne.
    Im Verlauf ihrer ersten Woche an der gastlichen französischen Riviera absolvierte Rose ein gewaltiges Lernpro-gramm. Zunächst wurden ihr die Besitzverhältnisse im Negresco klar und zeitgleich die traurige Wahrheit, dass der glutäugige Pascal mit den pechschwarzen Haaren und dem Duft von Sandelholz auf der Haut kein reicher Freier und noch nicht einmal ein so durchschnittlicher Playboy war wie diejenigen im Kleinformat, die der schönen Rose zu Hause den Hof gemacht hatten. Pascal, so begriff die mit den zerronnenen Träumen, war ein schlecht bezahlter Koch in der Ausbildung. Er hatte unregelmäßige Dienstzeiten und störende Anfälle von Trübsinn. Die machten ihn entweder wortkarg oder kränkend ungalant und im schlimmsten Fall beides zugleich. Nach Erklärungen ver-langte es der gutgläubigen Bürgertochter nicht mehr. Zwei allein verbrachte Nächte in der französischen Fremde hatten gereicht, um sie zeitlebens gegen Träume und Illusionen zu feien. Und schon da büßte sie die Charaktereigenschaft ein, die ihren Bruder stets irritiert hatte - die Fähigkeit, sich spontan und Furcht erregend zu wehren, wenn sie auch nur ein Unrecht witterte. Rose, die kleine Furie in der Familie Procter, der niemand anhaltend böse sein mochte, die schöne Wilde, die nach allen Seiten ausschlug, der aber keiner mit gleicher Münze heimzahlte, protestierte nicht mehr. Sie

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