Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Und das Glück ist anderswo

Titel: Und das Glück ist anderswo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
Vom Netzwerk:
Mädchen auch noch im zwanzigsten Jahrhundert im Namen der Liebe widerfuhr. Es dauert aber trotzdem fast drei Wochen, bis sie sich endlich und in allen Einzelheiten vergegenwärtigte, was das in ihrem speziellen Fall bedeutete. Pascal hatte sie mit einem Gesicht, an das sie sich nicht hatte erinnern können, weil es so gar nicht dem aufgeweckten und kecken glich, das ihr in London Vernunft und Denkvermögen geraubt hatte, am Bahnhof abgeholt. Er war mürrisch und wortkarg gewesen und auch entsetzt, dass das - immerhin doch fremde - Mädchen, das da aus dem Zug stieg, seine Kreise zu stören gedachte. Rose, die da immer noch der Meinung war, das Negresco würde ihm gehören, hatte ihm aus London ein Telegramm geschickt und es an seine Arbeitsstelle adressiert. Das allein, fand Pascal, war ein Grund gewesen, sich ins Meer zu stürzen. Der Directeur, der die Gästepost verteilte und sie hoch gestellten Persönlichkeiten gar persönlich überreichte, hatte den jungen Koch in der Ausbildung ausgerechnet während der finalen Vorbereitungen zu einem Festdiner für eine zehnköpfige Jachtgesellschaft aus der Küche befohlen; er hatte ihm das Telegramm, das im Übrigen schon drei Stunden im Hause war, mit einem Blick überreicht, den er sonst für Menschen parat hielt, die er nicht als Gäste im Haus sehen wollte. »Wünscht Monsieur Hilfe beim Öffnen seiner Depesche?«, hatte der allmächtige Gebieter gefragt.
    Einschließlich des Hin- und Rückwegs hatte der ganze Vorgang keine zwei Minuten gedauert. Dennoch wurden die Seezungen, von denen Pascal abberufen worden war, von Monsieur Pierrot persönlich auf die Platte für die Katze des Hauses umgebettet. »Für den Fall, dass Madame Minou-che sich so weit vergisst, in Wein ertrunkenen Knoblauch zu kosten«, hatte der Chef gerügt. Seine leidende Miene war zum Erbarmen. Weil er jedoch eine Schwäche für Pascal hatte und ein kreidebleiches Gesicht in einer Küche von Weltruf so auffällig ist wie ein Teller, der unberührt aus dem Speisesaal zurückkommt, hatte er ihn bei der Mahlzeit für die Angestellten zu sich gerufen. Monsieur Pierrot hatte den Jungen nach dem Grund seines plötzlichen Verschwindens befragt und so von der ungewöhnlichen Postsendung erfahren. Sie saßen an einem kleinen runden Marmortisch, an dem, ohne dass es je eigens bekannt gegeben worden war, nur Monsieur Pierrot und ein Kollege seiner Wahl Platz nehmen durften. Monsieur war bester Laune - trotz der Peinlichkeit mit den Seezungen. Der Gast von der Jacht hatte ihn in den Speisesaal gebeten, und beide hatten sich in Komplimenten überboten, wobei der Küchenzauberer auch mit einer Einladung auf die Jacht bedacht worden war. Pascal hatte sich immerhin so weit erholt, dass er die duftenden Crêpes au Roquefort genießen konnte, die drei ältliche Amerikanerinnen bestellt und noch nicht einmal probiert hatten, weil sie erst bei Tisch merkten, dass es sich bei Roquefort um Käse handelte. Es war Pascal ein Rätsel, dass das Telegramm überhaupt zu ihm gelangt war. »Ist das nun ein Fluch oder ein Segen?«, fragte er - so unbekümmert wie möglich, aber längst nicht so pfiffig wie sonst.
    »Das kommt ganz auf dich an, mein Junge«, erwiderte Monsieur Pierrot, dem es Freude machte, seinen Schützling mit so gutem Appetit essen zu sehen. Er beneidete die Jugend um diese Fähigkeit. Bei ihm war es leider so weit, dass Ärger und Probleme die Magensäure zu kräftig anregten. Er hatte stets Tabletten in seiner Jacke. »Ich sage immer, mein Freund, den Unannehmlichkeiten mit Frauen muss man so sorgfältig zu Leibe rücken wie einem Chateaubriand. Wenn man beim Chateau nicht höllisch aufpasst, ist das Fleisch am Ende zu roh und die Kruste viel zu scharf gebraten.«
    »Bei mir ist das Chateau leider gefüllt, Monsieur. Und ich hab nur eine Minute nicht aufgepasst. Nur eine Minute und schon ein Volltreffer.«
    »Mein Gott, Pascal. So blöd kann keiner sein, der nicht total besoffen ist. Selbst nicht ein Jungkoch, der unschuldige Seezungen ihrem Schicksal überlässt, weil ihn ein Ignorant, der sich für den Chef aller Chefs hält, von seiner Pflicht abkommandiert.«
    Monsieur Pierrot war, als dieses Gespräch geführt wurde, genau im Bild, wie sein Protege in London seine Freizeit verbracht hatte. Als er unmittelbar nach Pascals vorzeitiger Rückkehr nach Nizza von der kleinen Engländerin erfahren hatte und dass sie Pascal immer noch für den Besitzer vom Negresco hielt, hatte er Tränen gelacht. Pascal hatte

Weitere Kostenlose Bücher