und das Goldene Dreieck
mehrmals unbeholfen über abgebrochene Zweige. Auf dem Pfad war nichts zu sehen, also kehrte sie zu Mornajay zurück, der nun nicht mehr murmelte, dafür aber wie besessen den Kopf von einer zur anderen Seite drehte, als wolle er ihn von einer unerträglichen Last befreien.
Sie setzte sich neben ihn. Sie war verstört, weil Anu davongelaufen war und weil sie befürchtete, daß er nicht wiederkommen würde. Sie dachte: Wenn er nicht zurückkehrt, wie können wir da Cyrus je finden? Wie kommen wir zum SchanLager? »Anu!« rief sie erneut.
Sie fragte sich, ob der Junge vielleicht glaubte, böse Geister hätten von Mornajay Besitz ergriffen. Oder - optimistischer - ob der Junge sich etwa doch noch entschlossen hatte, mit Bonchoo zu gehen und ihm nachgelaufen war.
Möglicherweise befürchtete Anu aber, daß die Naklengs, die versucht hatten, Bonchoo zu töten, es nochmals versuchen würden. Bei diesem Gedanken wurde ihr ganz übel und sie beschloß, nicht mehr laut nach Anu zu rufen, sondern ganz still zu sitzen.
Sie fand die Stille zermürbend; es war, als schliefen alle Tiere des Waldes, während sie auf die Nacht warteten - wie die Schlagen, von denen Bonchoo gesprochen hatte. Aber sie wollte auf keinen Fall an die Nacht denken. Tatsache war, und damit mußte sie sich abfinden, daß Anu sich davongeschlichen hatte, und Bonchoo ohne zufriedenstellende Erklärung gegangen war, offenbar voll Hoffnung, die sie nicht teilen konnte. Denn welche Hilfe könnte er hier schon finden, falls er nicht zurückkehrte? Hatte er einen Pfad mit dem Buschmesser geschlagen, dem sie möglicherweise folgen konnte?
Um sich abzulenken, betrachtete sie eingehend ihre unmittelbare Umgebung und zahlte auf, was sie sah. »Das«, sagte sie mit leiser Stimme, »ist eine Bambusgruppe; und dort ist ein Schmetterling - wie hübsch! Von so zarter Cremefarbe und die Flügelspitzen wie in Schokolade getaucht! Und bei dem Baumstumpf ziehen Ameisen emsig hin und her; vielleicht wohnen sie in dem Stumpf... Die Erde ist rot an den kahlen Stellen; dort überzieht etwas wie eine Decke sie; und irgendwo da oben muß der Himmel sein.«
Plötzlich schrie Mornajay gellend und deutete mit zitternder Hand auf etwas, das sie nicht sehen konnte. Sie hatte das Gefühl, als rege der Dschungel sich jetzt ein wenig, als habe Mornajays Fieberwahn seine verborgenen Bewohner ebenso erschreckt wie sie. Oder hatte er wirklich etwas gesehen? Sie erinnerte sich an die Geister der gelben Blätter und schauderte. Wurden sie etwa von diesen Waldmenschen beobachtet, die so gut verstanden, sich unsichtbar zu machen? Mornajays Schrei machte auf sie aufmerksam, das mochte sich als gefährlich erweisen. Sie flüsterte: »Ich werde jetzt von zehn bis eins rückwärtszählen... Mr. Morna jay, ich werde rückwärtszählen! Versuchen Sie, mich zu hören und bitte, schreien Sie nicht wieder... Zehn - neun - acht.«
Im Laubdach über ihnen raschelte es. Sie schaute hoch, dann ringsum, und konzentrierte sich schließlich wieder auf das Zählen. Diesmal fing sie bei hundert an. Immer wieder blickte sie auf die Uhr, sie zählte auch die Minuten und jede dauerte eine Ewigkeit. Es wurde zwei Uhr. Sie fühlte, welche Hitze Mornajay ausstrahlte, und fragte sich, wie lange ein Mensch eine so hohe Körpertemperatur aushalten konnte. Sie fragte sich auch, in welche private Welt sein Fieberwahn ihn geführt hatte. Aspirin, dachte sie, wenn wir doch wenigstens Aspirin dabei hätten! Wie so vieles andere hatte sie ihr Aspirin im Hotel gelassen. Aber immerhin war es möglich, daß Mornajay welches eingesteckt hatte. Also trat sie zu seinem Rucksack. Sie drehte ihn um, um ihn zu öffnen, und stellte fest, daß er erstaunlich schwer war. Sie schaute hinein und blinzelte verblüfft. Ein Funkgerät! Das erklärte das Gewicht. Außerdem enthielt er noch einen kleineren, in Seide gewickelten Gegenstand, der Form nach ein Revolver. Sie packte ihn aus. Tatsächlich, ein 41er Magnum. Lange starrte sie in den Rucksack: Kein Schlafanzug, kein Aspirin, aber ein Funkgerät und ein Selbstlader! Und das, um ein vergessenes Kloster zu finden? Sie setzte sich auf die Fersen und fragte sich, wozu jemand, der ein Kloster suchte, ein Funkgerät brauchte. Den Revolver verstand sie, denn er war ohne Führer, und weil er diese Berge kannte, wie er behauptete, wußte er auch, wie gefährlich es hier sein konnte. Ein Funkgerät jedoch war bestimmt keine Orientierungshilfe, allein seines Gewichts wegen nicht, da wären Kompaß und
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