und das Goldene Dreieck
nun lediglich hin und wieder anhalten, um ihn zu verbreitern. Im Dschungel wurde es allerdings bereits dunkler, und Mrs. Pollifax schauderte bei dem Gedanken, daß die Nacht sie überraschen könnte, ehe sie Unterschlupf gefunden hatten. Über ihnen spielte eine sanfte Brise mit den Blättern, und Vögel flatterten aufgescheucht davon. Mrs. Pollifax dachte, daß es in diesem Dämmerlicht war, als bewege man sich durch ein Aquarium, auf das kein Licht von oben fiel.
Sie war völlig überrascht, als sie schon nach kurzer Zeit aus der Düsternis des Dschungels in den goldenen Sonnenschein des Spätnachmittags kamen. Überrascht blieb sie stehen. Gar nicht weit vor ihr erhoben sich drei Statuen des sitzenden Buddhas, und Pflanzen wucherten um ihre Sockel. Sie standen hintereinander und waren gut sechs Meter hoch, und sie lächelten gütig. Erstaunt blickte sie zu ihnen empor und sah, daß ihre Farben zu stumpfen Ocker-und Rosttönen verblaßt und ihre Gesichter verwittert, aber doch noch klar gezeichnet waren. Sie fragte sich, wie viele Jahrhunderte sie schon in verträumter Meditation hier saßen, wie viele Sonnenauf-und untergänge sie erlebt und wie viele Reiche sie hatten aufsteigen und fallen sehen. »Wie erstaunlich!« flüsterte sie. »Wie beeindruckend!«
Die beiden Mönche verschwanden gerade hinter den BuddhaStatuen, aber Bonchoo war stehengeblieben, hatte seinen Hut abgenommen und sich niedergekniet. Mit andächtiger, ja ehrfürchtiger Miene verneigte er sich dreimal vor den Buddhas. Das war eine neue, ihr bisher noch nicht bekannte Seite Bonchoos. Sie wartete, um ihn nicht zu stören. Als er aufstand, verneigte er sich ein letztes Mal und ging weiter. Mrs. Pollifax folgte ihm, vorbei an den riesigen Abbildern. Sie kam sich ganz klein vor, und sie staunte immer noch über ihre Anwesenheit hier. Der Pfad führte in einen ausgelaugt wirkenden Garten, und als sie dahinter den Tempel sah, blieb sie erneut stehen und staunte.
Er mußte einst eine Grünfläche von mehreren Hektar eingenommen haben, doch nun stand lediglich noch ein Drittel des Komplexes, und davon war ein großer Teil Ruinen. Die äußere Schicht hatte der Zahn der Zeit abgenagt, so daß dicke Lateritplatten offenlagen, die in der Sonne ziegelrot schimmerten. Viele der Steine lagen herum, als hätte ein Riese sie auf den Boden geschmettert. Da soviel des Wats in Staub und Trümmer zerfallen war, gab es von dem ursprünglichen Dach so gut wie nichts mehr. Doch die noch erhaltenen Wände hatte man mit Bambus und Stroh gedeckt, was auf den ersten Blick an gewaltige, unordentliche Vogelnester denken ließ, die vom Himmel gefallen waren. Doch nach den noch stehenden Wänden konnte man schließen, wie prächtig das Ganze einst gewesen war. Zwei steinerne Greife bewachten immer noch eine Treppe, die zu einem breiten Außengang führten, und dahinter erhob sich die Spitze eines Chedi. Das war es wohl, was Anu aus der luftigen Höhe des Bambusses gesehen hatte. Weit links davon, über den Bäumen, verschwand die Sonne in leuchtendem Orange allmählich im Dschungel.
Drei träumende Buddhas in einer Reihe... Die Ruinen eines alten Tempels... Eine orangefarbene Sonne... Mrs. Pollifax fühlte sich wie verzaubert. Ihr war, als befände sie sich an einem Ort, wo es die Zeit nicht gab. Es war alles so unerwartet und von malerischer Schönheit. Und während Mrs. Pollifax den Hauch vergangener Jahrhunderte spürte, gab sie sich dem dankbaren Staunen hin, daß das Leben sie zu diesem heiligen Ort geführt hatte, zu diesem Tempel, der eine inzwischen fast vergessene Vergangenheit bewachte. Eine Bewegung auf dem Außengang lenkte ihre Aufmerksamkeit auf sich. Sie schaute hoch und sah einen Mann, der sie beobachtete. Sie fand, daß er das eine Detail war, das diesem Bild gefehlt hatte und es nun vervollständigte: Es war ein Mann in safrangelbem Gewand mit kahlgeschorenem Kopf. Vielleicht ist das der heilige Mann, dachte sie. Sie war nicht nahe genug, mehr zu sehen, und kaum hatte sie ihn bemerkt, zog er sich auch schon zurück. Das riß sie aus ihrer Verzauberung, und sie erinnerte sich, weshalb sie hier war. Bonchoo war inzwischen außer Sicht; auch die beiden Mönche, die Mornajay trugen, waren nicht mehr zu sehen. Sie wählte einen Eingang unter der Treppe und betrat einen langen, dunklen Korridor. Der Klang von Stimmen führte sie eine Treppe hoch zu einem strohgedeckten Zimmer, das eine offene Tür zum Außengang hatte. Die letzten Sonnenstrahlen drangen in dünnen
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