Und das Leben geht doch weiter
begann das?«
»Was?«
»Carolas Zurückgezogenheit.«
»Wann?« Frau Burghardt strich sich über die Stirn. »Warten Sie mal … ja … ich glaube … nach ihrem Schiurlaub an Weihnachten.«
»Aber mit Ihnen hat Ihre Tochter nicht über ihre Probleme gesprochen? – Nein, das geht ja auch aus ihrem Brief hervor.«
Frau Burghardt senkte beschämt den Kopf. Sie war immer noch erschreckend blaß. Es blieb eine Weile still zwischen den beiden Damen, bis die Reedersgattin verzweifelt fragte: »Was soll ich jetzt bloß machen?«
»Wo ist Ihr Mann, Frau Burghardt?«
»In der Firma. Wieso?«
»Das nächstliegende wäre, den erst mal zu verständigen.«
Das geschah telefonisch, und nachdem er gebeten hatte, daß Frau Dr. Petersen auf ihn warten möge, war er 35 Minuten später zu Hause. Sein Chauffeur hatte Anlaß zu einigen Strafanzeigen wegen Geschwindigkeitsüberschreitung geben müssen, mit deren Zustellung in nächster Zeit zu rechnen war.
Paul Burghardt stürzte ins Zimmer, in dem ihn seine Frau und Carolas Klassenlehrerin, inzwischen bei Tee und etwas Gebäck angelangt, erwarteten. Seine ersten Worte lauteten: »Was ist da los? Das kann ja alles wohl nur ein Witz sein!«
Seine Frau reichte ihm den Brief. Er las ihn, warf ihn auf den Tisch und quittierte ihn mit der Frage: »Ist die verrückt?«
Die beiden Damen unterrichteten ihn nun abwechselnd über Einzelheiten. Als kühl rechnender Geschäftsmann, der er war, entdeckte er beim Zuhören sofort eine schwache Stelle bei der Studienprofessorin.
»Carola war also gestern bei Ihnen?«
»Ja, am Spätnachmittag.«
»Am Abend war sie noch hier zu Hause. Ich habe selbst mit ihr gesprochen. Wenn Sie, Frau Doktor, uns sofort verständigt hätten, wäre ihr Verschwinden zu verhindern gewesen.«
Frau Dr. Petersen ließ sich aber nicht ins Bockshorn jagen.
»Erstens«, sagte sie, »hatte ich gestern keine Zeit mehr. Ich hatte eine unaufschiebbare Verabredung …«
Eine absolut unaufschiebbare, fügte sie in Gedanken hinzu.
»Es gibt schließlich auch das Telefon, Frau Doktor Petersen.«
»Zweitens hatte Ihre Tochter vom Einverständnis zwischen ihr und ihren Eltern gesprochen. Ich durfte also annehmen, daß Sie über alles im Bilde wären.«
»Aber warum sind Sie dann heute trotzdem hierhergekommen?«
»Weil ich Ihnen Ihr angebliches Einverständnis mit dem Schulabgang Ihrer Tochter ausreden wollte.«
Damit mußte sich der Reeder zufriedengeben.
»Hinter der ganzen Sache steckt natürlich ein verdammter Kerl«, richtete er nun das Wort an seine Frau. »Das geht aus allem hervor.«
»Aber wer?« fragte sie ratlos.
»Wir müssen herumfragen.«
»Bei wem?«
»Herr Burghardt«, mischte sich Frau Dr. Petersen in das Gespräch der Eheleute ein, »ich habe Ihre Frau schon gefragt, seit wann Sie im Verhalten Ihrer Tochter Veränderungen bemerkt haben. Seit deren Schiurlaub in Bayern. Dort würde ich an Ihrer Stelle einhaken.«
Paul Burghardt blickte zwischen seiner Frau und der Studienprofessorin hin und her.
»Jens!« stieß er plötzlich hervor und ging zum Telefon. Er blieb jedoch noch einmal stehen und sagte zu seiner Frau. »Aber das kann ich nicht glauben. Oder hältst du es für möglich, daß Carola wegen diesem …«, er wollte ›Würstchen‹ sagen, korrigierte sich aber: »… wegen dem durchgedreht hat?«
Gertrud Burghardt hielt neuerdings alles für möglich und entgegnete deshalb weinerlich: »Warum nicht?«
Paul Burghardt setzte seinen Weg zum Telefon fort und rief im Hause Kosten an. Der alte Diener Jakob meldete sich.
»Ist sonst niemand da?« fragte Burghard barsch.
Jakobs gemessene Antwort lautete: »Der gnädige Herr ist im Geschäft, und die gnädige Frau in der Stadt; sie wollte aber bald wieder zurück sein.«
»Was ist mit Jens?«
»Der junge Herr befindet sich, soviel ich weiß, auf seinem Zimmer.«
»Ich möchte ihn sprechen.«
»Am Telefon?«
»Ja natürlich, wo denn sonst?«
Der großmächtige Reeder war das Befehlen gewohnt. Höflichkeit gehörte nicht zu seinen hervorstechenden Eigenschaften; in seiner momentanen Verfassung ließ er sie ganz und gar vermissen.
»Ich verbinde«, sagte Jakob ruhig.
»Jens«, legte Burghardt los, »wo ist Carola, verdammt noch mal?«
»Was?«
»Bist du derjenige, der sie verrückt gemacht hat?«
»Wie bitte?«
»Ihr wart doch zusammen beim Schifahren? Seitdem stimmt's bei ihr nicht mehr.«
»Herr Burghardt … entschuldigen Sie … ich verstehe nicht, was Sie wollen … was ist
Weitere Kostenlose Bücher