Und dennoch ist es Liebe
können?
Nicholas setzte Max auf den Teppich und schaute zu, wie er sich herumwälzte, bis er unter dem Sofa lag. Astrid stand nervös in der Tür und setzte dann ihr breitestes Diplomatenlächeln auf. Damit hatte sie sogar schon Idi Amin bezirzt, ihr freien Zugang nach Uganda zu gewähren, und das hier konnte da wohl kaum schwerer werden. Sie setzte sich auf ein antikes Kanapee, von wo aus sie perfekte Sicht auf Max hatte. »Es ist schön, dich zu sehen, Nicholas«, sagte sie. »Bleibst du zum Essen?«
Nicholas ließ seinen Sohn nicht aus den Augen. Astrid betrachtete ihren Sohn und erkannte, dass er in diesem Zimmer irgendwie fehl am Platze wirkte. Das verwunderte sie, und sie fragte sich, wann er sich so verändert hatte. Dann schaute Nicholas seine Mutter herausfordernd an. »Bist du beschäftigt?«, fragte er.
Astrid dachte an die Fotos, die verstreut in ihrem Arbeitszimmer lagen und die Ladakhi-Frauen mit schweren Federhalsketten und nackten, dunkelhäutigen Kindern zeigten, die vor einem uralten, buddhistischen Kloster Fangen spielten. Sie hatte gerade an der Einleitung zu ihrem neuesten Fotoband gearbeitet, der sich mit dem Himalaya und dem tibetischen Hochplateau beschäftigte. Sie hatte den Abgabetermin schon drei Tage überschritten, und ihr Herausgeber würde spätestens Montag wieder anrufen. »Eigentlich«, sagte sie, »habe ich schon den ganzen Tag nichts zu tun gehabt.«
Nicholas seufzte so leise, dass noch nicht einmal seine Mutter das bemerkte. Er ließ sich auf einen antiken, zerbrechlichen Stuhl sinken und dachte an die blau-weiß gestreiften Zweiersofas, die Paige auf dem Flohmarkt für ihr altes Apartment besorgt hatte. Sie hatte einen Straßenmusiker vor dem Mercy bequatscht, ihr dabei zu helfen, die Sofas mit Lionels Van in ihre Wohnung zu schaffen, und dann hatte sie Nicholas drei Wochen lang immer wieder gefragt, ob das nicht zu viel Sofa für so einen kleinen Raum sei. »Schau dir doch nur mal diese Elefantenbeine an«, hatte sie gesagt. »Findest du das nicht auch irgendwie falsch?«
»Ich brauche deine Hilfe«, sagte Nicholas leise.
Was auch immer Astrid noch an Vorbehalten gehabt haben mochte, als Nicholas sprach, war all das wie weggeblasen. Sie stand auf und ging zu ihrem Sohn. Stumm nahm sie ihn in die Arme und wiegte ihn vor und zurück. So hatte sie Nicholas nicht mehr gehalten, seit er dreizehn war. Es war nach einem Fußballspiel gewesen, und er hatte ihr verlegen erklärt, er sei zu alt dafür.
Nicholas schob sie nicht weg. Stattdessen legte er ihr die Hände auf den Rücken. Er schloss die Augen und fragte sich, wo seine Mutter, die auf Teepartys und beim Polo erzogen worden war, all den Mut hernahm.
Astrid holte Eiskaffee und einen Zimtkringel und ließ Nicholas erst einmal essen, während sie Max davon abhielt, an den Stromkabeln zu kauen. »Ich verstehe das nicht«, sagte sie und lächelte Max an. »Wie hat sie nur gehen können?«
Nicholas versuchte, sich an die Zeit zu erinnern, als er Paige bis zum letzten Atemzug verteidigt hätte. Ja, es hatte eine Zeit gegeben, da hätte er lieber den rechten Arm gegeben, als zuzulassen, dass seine Eltern Paige kritisierten. Auch diesmal öffnete er instinktiv den Mund, um sie zu entschuldigen, doch ihm fiel nichts ein. »Ich weiß es nicht«, sagte er. »Ich weiß es wirklich nicht.« Er strich mit dem Finger über den Rand seines Teeglases. »Ich verstehe sie nicht mehr. Es ist, als hätte sie die ganze Zeit über einen geheimen Plan gehabt, den sie mir gegenüber mit keinem Wort erwähnt hat. Sie hätte doch etwas sagen können. Dann hätte ich …« Nicholas hielt inne. Dann hätte er was? Ihr geholfen? Ihr zugehört?
»Du hättest gar nichts getan, Nicholas«, sagte Astrid dann auch. »Du bist genau wie dein Vater. Wenn ich auf eine Fotosafari gehe, dauert es drei Tage, bis er bemerkt, dass ich fort bin.«
»Das ist doch nicht meine Schuld«, schrie Nicholas. »Schieb mir das nicht in die Schuhe.«
Astrid zuckte mit den Schultern. »Du drehst mir die Worte im Mund um. Ich habe mich nur gefragt, welche Gründe Paige dir genannt hat, denn schließlich plant sie ja zurückzukommen – das hast du selbst gesagt.«
»Das ist mir scheißegal«, knurrte Nicholas.
»Natürlich ist es das«, sagte Astrid. Sie hob Max hoch und setzte ihn auf ihren Schoß. »Du bist genau wie dein Vater.«
Nicholas stellte sein Glas auf den Tisch und zog ein gewisses Maß an Befriedigung aus der Tatsache, dass es keinen Untersetzer gab und er
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