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Und dennoch ist es Liebe

Und dennoch ist es Liebe

Titel: Und dennoch ist es Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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versuchte auf diese Art, die fehlende Geschichte zwischen uns zu überbrücken. Wenn man nicht ständig zurückschaut, stolpert man auch nicht.
    Meine Mutter blieb auf der Schwelle stehen und stützte sich am Türrahmen ab. »Paige«, fragte sie, »bist du verheiratet?«
    Ein stechender Schmerz lief meinen Rücken hinunter, und Übelkeit stieg in mir auf, weil sie über Telefonnummern und das Mittagessen reden konnte, aber nicht über die Dinge, die eine Mutter eigentlich wissen sollte. »Ich habe 1985 geheiratet«, erzählte ich ihr. »Sein Name ist Nicholas Prescott. Er ist Herzchirurg.«
    Meine Mutter hob die Augenbrauen und lächelte. Dann ging sie weiter. »Und«, rief ich ihr hinterher, »ich habe ein Baby. Einen Sohn. Max. Er ist drei Monate alt.«
    Meine Mutter blieb wieder stehen, drehte sich aber nicht mehr um. Vielleicht bildete ich mir das ja nur ein, doch ich glaubte zu sehen, dass ihre Schultern zitterten. »Ein Baby«, murmelte sie. Und ich wusste, was ihr durch den Kopf ging: Ein Baby, und du hast es zurückgelassen … so wie ich einst dich verlassen habe. Ich hob das Kinn und wartete darauf, dass sie sich wieder umdrehte, sodass ich diesen Zyklus akzeptieren konnte, doch das tat sie nicht. Stumm stieg sie die Treppe hinunter und dachte über die Parallelen in unser beider Leben nach.
*
    Mom stand in der Mitte des Ovals – der ›Bahn‹ –, und ein Mädchen auf einem Pony tanzte um sie herum. »Übergänge, Brittany«, rief sie. »Erst musst du antraben. Üb Druck auf die Flanken aus, aber beug dich nicht nach vorne. Aufrechter Sitz und die Fersen runter.« Das Mädchen war dürr und klein, und ihr blonder Pferdeschwanz ragte aus dem schwarzen Helm heraus. Ich lehnte mich ans Gatter und schaute zu, wie das kräftige braune Pferd im Kreis trabte.
    Meine Mutter ging zum Rand der Reitbahn und machte ein Hindernis niedriger. »Du musst fühlen, ob er zu schnell oder zu langsam ist«, brüllte sie. »Du musst jeden Schritt ausreiten. Und jetzt möchte ich, dass du auf die Diagonale reitest … Beine gestreckt, Fersen tief.«
    Das Mädchen lenkte das Pferd – oder zumindest nahm ich an, dass sie es lenkte – aus der Ecke heraus und ritt ein X quer durch die Bahn. »Okay, jetzt im Schritt«, rief meine Mutter. Das Mädchen hüpfte nicht länger im Sattel auf und ab, sondern schwankte stattdessen bei jedem Schritt von rechts nach links. »Aufrechter Sitz«, rief meine Mutter, und das Mädchen erstarrte förmlich im Sattel und klammerte sich voller Angst an die Pferdemähne. Meine Mutter sah mich und winkte mir zu. »Jetzt noch mal über die Cavaletti«, sagte sie. »Reite genau auf die Mitte des Sprunges zu.« Sie duckte sich und spannte ihren Körper, als könne sie das Pferd allein kraft ihres Willens dazu zwingen, das Richtige zu tun. »Augen geradeaus, Augen geradeaus … Die Beine, die Beine, die Beine!« Das Pferd sprang geschickt über das niedrige Hindernis und fiel dann wieder in den Schritt. Das kleine Mädchen streckte die Beine aus, die Füße waren noch immer in den Steigbügeln. »Braves Mädchen«, lobte meine Mutter, und Brittany lächelte. »Damit können wir für heute Schluss machen.«
    Eine Frau war neben mich getreten. Sie holte ihr Scheckbuch heraus. »Nehmen Sie auch Unterricht bei Lily?«, fragte sie mich und lächelte.
    Ich wusste nicht, was ich ihr darauf antworten sollte. »Ich denke darüber nach«, sagte ich schließlich.
    Die Frau kritzelte ihre Unterschrift und riss einen Scheck heraus. »Sie ist die Beste in der Gegend hier.«
    Brittany war inzwischen abgestiegen. Sie kam zum Zaun und führte das Pferd an den Zügeln hinter sich her. Meine Mutter schaute zu mir herüber und musterte mich von Kopf bis Fuß. »Du musst Tony nicht absatteln«, sagte sie zu dem Mädchen. »Ich glaube, wir brauchen ihn noch.« Sie nahm die Zügel und schaute Brittany und ihrer Mutter hinterher, bis sie hinter dem Hügel verschwunden waren.
    »Meine nächste Schülerin hat die Grippe«, sagte sie. »Wie wäre es also, wenn du es mal probierst?«
    Ich dachte an das Pferd heute Morgen, das mit der Kraft einer Lokomotive gesprungen war, und dann schaute ich auf dieses kleine Tier. Es hatte lange, dunkle Wimpern und einen weißen Fleck auf der Stirn, der wie ein Micky-Maus-Kopf aussah. »Eher nicht«, antwortete ich. »Ich bin nicht der Typ dafür.«
    »Das war ich auch nicht«, erwiderte meine Mutter. »Versuch es einfach mal. Wenn es dir unangenehm ist, kannst du ja jederzeit wieder absteigen.«

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