Und dennoch ist es Liebe
die richtige Richtung schubsen würde: ein sanfter Druck, der mich bremste, bis ich wieder bereit war zu rennen.
*
»Wann darf ich Donegal reiten?«, fragte ich, als wir ihn auf die Weide führten, auf der ihn meine Mutter gerne ritt. Seine Mähne flatterte, als er den Kopf hochwarf.
»Du kannst dich gleich jetzt auf ihn setzen«, antwortete meine Mutter, »aber du würdest ihn nicht wirklich reiten. Er würde mit dir reiten.« Sie gab mir die Zügel und zog den Kinnriemen ihres Reiterhelms fest. »Er ist ein phänomenales Pferd. Er nimmt jedes Hindernis, das du ihm bietest, und er wechselt instinktiv die Führhand. Er lässt dich einfach gut aussehen. Wenn du allerdings Reiten lernen willst, dann solltest du das besser auf einem Pferd wie Tony tun, einem Arbeitstier mit Charakter.«
Meine Mutter schwang sich in den Sattel und trabte los. Ich setzte mich ins Gras und schaute ihr zu. Ich griff zu dem Block, den ich mitgenommen hatte, und holte ein Stück Zeichenkohle heraus. Ich versuchte, die Kraft zu malen, die vom Rückgrat meiner Mutter ausging und sich in den Flanken und mächtigen Hinterbeinen Donegals fortzusetzen schien. Sie berührte das Pferd nicht einmal. Sie schienen sich mittels Gedanken zu verständigen.
Ich zeichnete die gekräuselte schwarze Mähne, den geschwungenen Hals, den Dampf, der von den Flanken aufstieg, und den Rhythmus des angestrengten Atmens. Und ich zeichnete die sehnigen Muskeln in Donegals Beinen von den Hufen bis zur schimmernden Hüfte, die vor Kraft nur so pochte. Meine Mutter beugte sich über Donegals Hals und flüsterte ihm Worte zu, die ich nicht hören konnte. Ihr Hemd blähte sich, und sie bewegte sich schneller als das Licht.
Als ich sie zeichnete, schien sie förmlich aus dem Pferd zu wachsen, und es war unmöglich zu sagen, wo Donegal begann und wo sie endete. Ihre Schenkel waren fest um Donegals Flanken geschlossen, und seine Beine schienen sich über das Blatt zu bewegen. Ich zeichnete ihn immer und immer wieder auf demselben Blatt Papier. Ich arbeitete so leidenschaftlich, dass ich noch nicht einmal bemerkte, dass meine Mutter abgestiegen war, Donegal am Zaun festgebunden und sich zu mir gesetzt hatte.
Sie schaute mir über die Schulter und starrte ihr Bild an. Ich hatte auch sie wiederholt gezeichnet, doch der eigentliche Effekt war die Bewegung auf dem Papier. Ihrer und Donegals Kopf waren in verschiedenen Winkeln und Positionen gesenkt, doch alle waren sie mit demselben, dahinfliegenden Körper verbunden. Es wirkte mythisch und sinnlich. Es war, als hätten meine Mutter und Donegal mehrmals angesetzt, konnten sich aber nicht entscheiden, wohin sie reiten wollten.
»Du bist fantastisch«, bemerkte meine Mutter und legte mir die Hand auf die Schulter.
Ich zuckte mit den Schultern. »Ich bin ganz gut«, erwiderte ich. »Ich könnte aber noch besser sein.«
Meine Mutter berührte den Blattrand mit den Fingerspitzen. »Darf ich das haben?«, fragte sie, und bevor ich es ihr gab, schaute ich in den Schatten und Winkeln des Bildes nach, um zu sehen, was ich sonst noch enthüllt hatte. Doch diesmal war da nichts, trotz der Geheimnisse, die es zwischen uns gab.
»Sicher«, sagte ich. »Es gehört dir.«
Lieber Max,
anbei schicke ich dir eine Zeichnung von einem der Pferde hier. Ihr Name ist Aurora, und sie sieht wie das Pferd in deinem Bilderbuch von Schneewittchen aus, du weißt schon, dieses Buch, das du immer versucht hast zu essen, wenn ich dir daraus vorgelesen habe. Oh, ich nehme an, das weißt du nicht … ›Hier‹ lebt deine Großmutter. Es ist eine Farm in North Carolina, und es ist hier sehr grün und schön. Wenn du einmal älter bist, wirst du vielleicht auch mal hierherkommen und Reiten lernen.
Ich denke viel an dich. Ich frage mich, ob du schon aufrecht sitzen kannst und ob du schon die ersten Zähne hast. Ich frage mich, ob du mich wiedererkennen wirst, wenn du mich siehst. Ich wünschte, ich könnte dir erklären, warum ich einfach so gegangen bin, aber ich bin nicht sicher, ob ich die richtigen Worte dafür habe. Glaub einfach weiter an mich, wenn ich dir sage, dass ich wieder zurückkommen werde.
Ich weiß nur noch nicht, wann.
Ich liebe dich.
Und tust du mir einen Gefallen? Sag deinem Daddy, dass ich auch ihn liebe.
Mom
*
Ende August fuhr ich mit meiner Mutter zu einer Show für A-Klasse-Pferde in Culpeper, Virginia. Wir luden Donegal in den Hänger und fuhren sechs Stunden lang. Ich half meiner Mutter, ihn in eine der Boxen in dem
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