Und dennoch ist es Liebe
»Schaut euch nur mal seine Statur an«, sagte meine Mutter. »Diese schönen, geschwungenen Schultern. Er ist das geborene Springpferd.«
»Und«, sagte Josh, »er hat einen Arsch wie ein Truck.«
Meine Mutter unterbrach das Training, kam zu uns und tätschelte Josh die Wange, wie sie es auch immer bei den Pferden tat. »Solange du das nicht über mich sagst«, sagte sie und widmete sich wieder dem Pferd.
Wir schauten zu, wie die Muskeln in den Armen meiner Mutter sich spannten, wenn sie an der Longe zog, während Jean-Claude tapfer versuchte, sich loszureißen. »Wie lange macht sie das schon?«, fragte ich.
»Du meinst, mit Jean-Claude?«, erwiderte Josh. »Er ist erst seit einem Monat hier. Aber Donegal ist ihr bestes Pferd, ein wahrer Champion, und er ist erst sieben.« Josh bückte sich, zupfte einen Grashalm aus und steckte ihn sich in den Mund. Dann erzählte er mir die Geschichte meiner Mutter und der Fly-By-Night-Farm.
Meine Mutter hatte als Privatsekretärin für Harlan Cozackis gearbeitet, einen Millionär aus Kentucky, der ein Vermögen mit Wellpappe gemacht hatte. Er war sehr engagiert im Galopprennsport, und er hatte ein paar Pferde gekauft, die im Derby und anderen Rennen ganz gut gelaufen waren. Als er Magenkrebs bekam, brannte seine Frau mit seinem Geschäftspartner durch. Daraufhin sagte er zu Lily, sie solle ruhig auch gehen. Wen kümmere es schon, ob seine Firma in Ordnung sei oder nicht, wenn seine Frau den Mitbesitzer vögele? Doch Lily ging nicht. Allerdings führte sie nicht mehr die Bücher, sondern fütterte Harlan, wenn er im Bett liegen musste. Eine Zeit lang versuchte Harlan es mit Chemotherapie, und in den Nächten nach den Behandlungen blieb Lily bei ihm, tupfte seine faltige Brust mit einem feuchten Tuch ab und wischte seine Kotze weg.
Als er im Sterben lag, saß Lily stundenlang an seiner Seite, las ihm die Wettquoten von der Pferderennbahn vor und gab telefonisch Wetten für ihn ab. Sie erzählte ihm Geschichten von ihrer Zeit als Calamity Jane, und das brachte ihn vermutlich auf die Idee. Als er starb, hinterließ er ihr kein Geld, sondern das Hengstfohlen, das erst einen Monat zuvor geboren worden war und dessen Stammbaum sich bis zu Seattle Slew zurückführen ließ.
Josh sagte, meine Mutter habe lange und laut darüber gelacht. Sie besaß jetzt also ein nahezu unbezahlbares Pferd, hatte aber keinen Cent in der Tasche. Sie fuhr nach North Carolina, bis nach Farleyville, und hier fand sie dann einen Stall, den sie pachten wollte. Sie brachte Donegal hierher, und lange Zeit stand er allein im Stall, dennoch bezahlte sie die volle Pacht. Nach und nach gab sie immer mehr Leuten aus der Gegend Reitunterricht und sparte sich so das Geld für Eddy, Tony und dann für Aurora und Andy zusammen. Dann kaufte sie ein Pferd mit Namen Joseph direkt von der Rennbahn, bildete ihn ein Jahr aus und verkaufte ihn für 45 000 Dollar – dreimal so viel, wie sie für ihn bezahlt hatte. In dieser Zeit begann sie auch, mit Donegal auf Shows zu gehen, und mit dem Preisgeld finanzierte sie seine blaublütige Pflege: Hufschuhe für 150 Dollar, alle drei Monate eine Spritze und teures Futter. »Trotzdem haben wir im ersten Jahr 10 000 Dollar Verlust gemacht«, sagte Josh.
»Ihr habt 10 000 Dollar verloren?«, flüsterte ich ungläubig. »Ihr macht noch nicht einmal Gewinn? Warum macht sie das denn überhaupt?«
Josh lächelte. Auf der Bahn redete meine Mutter sanft auf Jean-Claude ein und schwang sich dann in den Sattel. Sie zog die Zügel an, bis das Pferd aufhörte, zu schnauben und sich von einer Seite zur anderen zu werfen. Meine Mutter hob den Kopf und lachte in den Wind. »Das ist ihr Karma«, erklärte Josh. »Warum sollte sie es sonst tun?«
*
Es fiel mir mit jedem Tag leichter. Jeden Morgen ritt ich eine Stunde, nachdem wir die anderen Pferde auf die Weide gebracht und den Stall gemistet hatten. Ich ritt Tony, das sanftmütigste Pferd, das meine Mutter besaß. Und dank ihres sorgfältigen Unterrichts wurde ich rasch immer besser. Meine Beine fühlten sich nicht mehr an, als seien sie zum Zerreißen gespannt, und ich konnte die Bewegungen des Pferdes mehr und mehr vorausahnen, das die Angewohnheit hatte, am Sprung nach rechts auszubrechen. Selbst im Galopp, der mir zuerst so unkontrollierbar erschienen war, kam ich nun zurecht. Jetzt lief Tony so brav, dass ich die Augen schließen und so tun konnte, als ritte ich auf dem Wind.
»Was möchtest du jetzt tun?«, rief mir meine Mutter von
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