Und dennoch ist es Liebe
»Komm schon, Paige«, hatte er gesagt, nachdem er zum dritten Mal geweckt worden war. »Ich muss morgen um sieben einen dreifachen Bypass legen.«
Doch egal, wie sehr er sich auch über diese Störungen ärgerte, Nicholas sah, dass seine Frau auseinanderfiel. Für ihn war sie stets der Inbegriff der Stärke gewesen mit ihren zwei Jobs, um sein Harvardstudium zu bezahlen. Sie war es gewesen, die das Geld zusammengehalten hatte, um ihren unterschiedlichen Verpflichtungen nachzukommen, und – das durfte man nicht vergessen – sie hatte ihr altes Leben aufgegeben, um in Cambridge noch einmal von vorne anzufangen. Angesichts all dessen konnte Nicholas sich nur schwer vorstellen, dass etwas so Winziges wie ein Neugeborenes Paige aus der Bahn werfen konnte.
*
»Okay, Kumpel«, sagte Nicholas und trug den heulenden Max zur Couch. »Möchtest du spielen?« Er hielt eine Rassel hoch und schüttelte sie vor den Augen seines Sohnes. Max schien sie gar nicht zu bemerken. Er trat mit den Beinchen und wedelte mit den kleinen roten Händen. Nicholas ließ das Baby auf dem Knie hüpfen. »Dann lass uns etwas anderes versuchen«, sagte er. Er griff nach der Fernbedienung und schaltete durch die Kanäle. Der schnelle Farbwechsel schien Max zu beruhigen, und er verwandelte sich in einen schlafenden Welpen an Nicholas’ Brust.
Nicholas lächelte. Das war ja gar nicht mal so schwer.
Er nahm Max hoch und trug ihn die Treppe ins Kinderzimmer hinauf. Leise ging Nicholas an der Tür des Elternschlafzimmers vorbei. Wenn er Max ablegen konnte, würde er vielleicht noch schnell duschen können, bevor das Baby wieder aufwachte.
Doch in der Sekunde, in der Max die weiche Matratze seiner Wiege berührte, begann er zu schreien. »Scheiße«, knurrte Nicholas und schnappte sich das Baby. Er wiegte ihn an der Brust und hielt Max’ Ohr an sein Herz. »Da«, sagte er. »Alles okay.«
Nicholas trug Max zum Wickeltisch und ließ prüfend den Blick über die dort ausgelegten Windeln und Puderdosen schweifen. Dann zog er Max den Strampler aus und öffnete die Klebeverschlüsse an der Windel. Wieder begann Max zu schreien, lief knallrot an, und Nicholas machte, so schnell er konnte. Er öffnete die Windel, doch als er den Urinstrahl aus dem frisch beschnittenen Penis schießen sah, drückte er die Windel rasch darauf. Nicholas atmete tief durch. Schließlich gelang es ihm doch, die Windel zu wechseln, jedoch saß die neue hinten ein wenig zu tief. Nicholas kümmerte das nicht weiter.
Als er seinem Sohn den Strampler wieder anziehen wollte, brauchte er drei Versuche, bis das Ding endlich richtig saß. Nicholas’ Finger waren einfach zu groß für die winzigen Knöpfe. Schließlich legte Nicholas seinen Sohn mit dem Kopf nach unten über seine Schulter und hielt ihn an den Füßen fest. Wenn Paige mich jetzt sehen könnte , dachte er, sie würde mich umbringen. Doch Max verstummte. Nicholas lief im Kreis herum, wobei er seinen Sohn immer noch mit dem Kopf nach unten trug. Ihm tat das Kind leid. Plötzlich und ohne Vorwarnung war Max in eine Welt geworfen worden, in der ihm nichts mehr vertraut war … und seinen Eltern war es nicht viel anders ergangen, als sie geheiratet hatten.
Nicholas trug Max wieder ins Wohnzimmer hinunter und legte ihn auf die Couch, in ein Nest aus Kissen. Max hatte Nicholas’ Augen. Nach dem ersten Tag war das tiefe Schwarz einem kühlen Himmelblau gewichen, das deutlich aus dem runden roten Gesicht hervortrat. Abgesehen davon konnte Nicholas jedoch kein endgültiges Urteil fällen. Es war schlicht noch zu früh, um zu sagen, wem Max ähneln würde.
Max’ glasiger Blick wanderte blind über Nicholas’ Gesicht. Nur kurz schienen die Augen sich zu fokussieren. Dann begann Max wieder zu schreien.
»Himmelherrgott noch mal«, knurrte Nicholas, hob das Baby hoch und lief wieder herum. Dabei sang er Max ein paar Motown-Titel vor, drehte sich im Kreis und versuchte, das Kind wieder mit dem Kopf nach unten zu hängen. Doch Max wollte einfach nicht mit dem Schreien aufhören.
Nicholas konnte dem Geräusch einfach nicht entkommen. Am liebsten hätte er das Baby hingelegt und wäre weggelaufen. Er dachte immer noch darüber nach, als Paige plötzlich die Treppe herunterkam, taumelnd und resigniert wie ein Gefangener im Todestrakt. »Ich glaube, er hat Hunger«, sagte Nicholas. »Ich konnte ihn einfach nicht dazu bringen aufzuhören.«
»Ich weiß«, erwiderte Paige. »Ich habe es gehört.« Sie nahm Nicholas das Baby ab und
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