Und dennoch
demonstrieren wollte, wurde ich des Sitzungssaals verwiesen. Stattdessen tourte ich dann mit meinen Schaubildern über Land, diskutierte auf Elternabenden und überzeugte so Wählerinnen und Wähler von der bayerischen Schulmisere.
Schon Anfang der sechziger Jahre, ich war in der dritten Legislaturperiode »MdL« (Mitglied des Landtages), ohne dass auch nur ein einziger meiner zahllosen Anträge und Interventionen angenommen worden war, fasste ich (wie schon in Kapitel 4 erwähnt) den Entschluss, mit Hilfe des Artikels 74 der Bayerischen Verfassung, den der SPD-Verfassungsrechtler Wilhelm Hoegner aus der Schweizer Emigration mitgebracht hatte, Unterschriften zu sammeln. Sie sollten für ein Volksbegehren sein, zugunsten der Einführung einer christlichen Gemeinschaftsschule anstelle des nach Konfessionen getrennten Systems.
Das hatte noch niemand versucht. Als ich aber spürte, wie unzufrieden die Eltern mit der rigiden konfessionellen Trennung ihrer Kinder in den Schulen waren – ich gehörte mittlerweile auch dazu, mein Mann war Katholik, die Kinder evangelisch getauft, in welche Schule also mit ihnen? –, dachte ich daran, diesen Vorstoß zu wagen. Im Frühjahr 1966 entstanden fast überall in Bayern Elterngruppen, die damit begannen, die notwendigen 25 000 Unterschriften für einen Antrag zusammenzubringen. Innerhalb kürzester Zeit hatten wir die doppelte Zahl beisammen. Über Megafone gaben wir Informationen, Unterschriftenlisten lagen auf Plätzen und in Geschäften aus, mit Fahrradkorsos und anderen Veranstaltungen mobilisierten wir genügend Eltern, um dann den zweiten Schritt, das eigentliche »Begehren«, in Angriff zu nehmen. Dafür waren mindestens zehn Prozent amtlich beglaubigter Unterschriften von Wahlberechtigten aus ganz Bayern erforderlich. Niemand traute uns zu, dass wir dieses Ziel erreichten. Wir hatten keine großartige Organisation, keine Ressourcen im Hintergrund, nur unser Engagement. Gegen uns waren außer der CSU mit ihrem flächendeckenden Apparat
beide Kirchen, einige evangelische Pfarrer ausgenommen. Ich wurde mit meinen Schulplänen sogar im Gottesdienst als »glaubensfeindlich« buchstäblich abgekanzelt.
Mit 9,6 Prozent verfehlten wir nur knapp das Ziel, aber in einem zweiten Anlauf zwei Jahre später, bei dem sich nun auch die SPD offiziell beteiligte, schafften wir es glatt. Für die letzte Stufe, den eigentlichen Volksentscheid , einigte man sich auf einen vernünftigen Text, der schließlich von allen Volksvertretern im Landtag, ausgenommen einigen besonders klerikalen CSU-Abgeordneten, mitgetragen wurde. Heute ist die christliche Gemeinschaftsschule in Bayern selbstverständlich, und kein Mensch weiß mehr, wie hart und verleumderisch es damals bei unserem »Kulturkampf« zugegangen ist. Einige Jahre später durften sogar die ehedem als »unsittlich« bezeichneten Schulbusse eingeführt werden.
In dieser Zeit startete ich meine Bildungsreisen durch die pädagogischen Provinzen der Bundesrepublik . Das hieß: Ich reiste nach und nach in jedes Bundesland und recherchierte, was die jeweiligen Länder bildungspolitisch planten oder bereits realisierten. Meine Berichte erschienen zunächst in der Wochenzeitung Die Zeit – später in Buchform. Dann setzte ich diese Form der Informationssammlung in einer zweiten Serie inner- und außerhalb Europas fort. 1968 erschien auch diese als Buch: Aufbruch ins Jahr 2000 oder Erziehung im technischen Zeitalter. Ein bildungspolitischer Report aus 11 Ländern . Die Bildungsreisen haben viel dazu beigetragen, die bayerischen Rückständigkeiten im Vergleich zu anderen Bundesländern bekannt zu machen und allmählich – millimeterweise – auch zu überwinden.
Aufbruch und Reformen
Anfang 1967 kehrte ich Bayern den Rücken und folgte dem Ruf der sozialdemokratischen Regierung nach Hessen: Ich begann dort als Staatssekretärin im Kultusministerium zu arbeiten. Der
zuständige Minister Ernst Schütte, ein Bergarbeitersohn aus Wanne-Eickel, zeigte sich familienfreundlich, und mit Blick auf meinen Mann und unsere Kinder wurden verständnisvolle und großzügige Regelungen für mich gefunden. Erleichtert und beflügelt wurde die Arbeit auch dadurch, dass wir übereinstimmende politische Ansichten vertraten. So verfolgten wir beispielsweise das Ziel, Reformen zur Verwirklichung gleicher Bildungschancen auf den Weg zu bringen. Minister Schütte wie auch der damalige hessische Ministerpräsident Georg August Zinn (SPD) waren das, was ich
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