Und dennoch
Bilderbuch-Sozialdemokraten nannte. Es war eine gute Zeit.
Wann und wie ich das alles trotz meiner jungen Familie geschafft habe, ist mir heute ein Rätsel. Es war wohl meine bildungspolitische Besessenheit, die mich angetrieben hat, und es war das Glück der Liebe zu meinem Mann und meinen beiden Kindern, die dies – samt den guten Geistern, die mir Haushalt, Kinderbetreuung und Büroarbeiten abnahmen –, möglich machten. Als eine besorgte Mutter bei einer Kindereinladung meine Tochter fragte: »Wenn deine Mutter so viel weg ist, wer erzieht dich denn dann?«, antwortete sie fröhlich: »Bei uns zu Hause wird nicht erzogen.«
Progressive Bildungspolitik auf Länderebene mit ständigem Blick auf das Ganze zu betreiben, das bedeutete für mich, permanent von zwei Seiten eingegrenzt zu werden. Zum einen wurde ich von der Kultusministerkonferenz der Länder (KMK) blockiert, die sich außerhalb der beiden Verfassungsebenen des Grundgesetzes in einer gleichsam dritten Instanz zu einer Mammutbehörde ausgebreitet hatte. Die KMK unterliegt keinerlei parlamentarischer Kontrolle, und auch Sitzungsprotokolle sind selbst für Landtagsabgeordnete nicht einsehbar. Da ich als hessische Staatssekretärin selbst für eine Zeit Mitglied der KMK war, kann ich manch garstig Lied von ihrem abstrusen bürokratischen Machtanspruch singen. Deshalb meine ständige Forderung: die KMK gehört aufgelöst und stattdessen eine Länder-Bund-Zusammenarbeit installiert, wenn möglich unter einem
Dach. Damit könnte das ständige Gerangel um den Kulturföderalismus entschärft werden. Denn ein kooperatives Wirken von Bund und Ländern in diesem Bereich – und dies war die zweite Blockade – wurde ständig behindert oder gar unmöglich gemacht. Bei der KMK hat sich die Situation bislang nicht viel geändert, und sie ist – politisch gesehen – ein zählebiges Relikt aus reformfeindlicher Länder-Eigenbrötelei.
Bis heute bedauere ich, dass es nicht gelungen ist, Erziehung und Bildung kommender Generationen zu einer gemeinsamen Aufgabe von Bund und Ländern zu machen; nicht zentralistisch, jedoch im Sinne einer gesamtstaatlichen Verantwortung. Dies wäre ein entscheidend wichtiges Thema für die gegenwärtige wie auch für die künftige Bildungspolitik im Land, in Europa und weltweit.
Nach dem zweiten PISA-Test: Erziehung zu demokratischer Teilhabe
Nach dem schlechten Abschneiden der Bundesrepublik im ersten und dem mittelmäßigen im zweiten PISA-Test 2010 wird es keinesfalls genügen, nur einige weitere Kurskorrekturen vorzunehmen, um das nächste Mal wiederum etwas besser dazustehen. Es geht nicht darum, in der Tabelle ein paar Plätze nach oben zu klettern. Vielmehr stellt sich die Frage nach der äußeren und vor allem nach der inneren Verfassung unseres Schulsystems, und zwar nicht nur nach ihrem Bildungs-, sondern vor allem auch nach ihrem Erziehungsauftrag, inklusive dem zu freiheitlichdemokratischen Verhaltensformen. Alles in allem geht es um ein zukunftsfähiges Schulwesen, in dem junge Menschen so vorbereitet werden, dass sie auch als Erwachsene neuen Anforderungen gewachsen sind.
Da heißt es Abschied nehmen von unserem bislang unerschütterlichen bildungspolitischen Credo, dass Schulen von Staats wegen organisiert und bürokratisch von Amts wegen reglementiert
werden müssen, dass mit abfragbarem Wissen über Schulerfolge, manchmal sogar über Lebenswege entschieden wird. Einem umfassenden Bildungsauftrag für künftige Generationen kann nicht länger mittels verordneter Lehrpläne Rechnung getragen werden, die nach dem Fünfundvierzig-Minuten-Takt einer Unterrichtsstunde abgewickelt werden. Meines Erachtens ist eine umfassende Re-Vision des Bildungs- und Erziehungsauftrags der Schule und ihrer Verantwortlichkeiten unverzichtbar. Das geht allerdings nicht »par ordre de mufti«, also nicht durch Verordnungen von oben, sondern durch zielorientiertes und kooperatives Vorgehen.
Angesichts des Ausmaßes dieser Herausforderungen erschweren die hierarchisch verfestigten Strukturen und Abläufe unseres derzeitigen Schulsystems nach wie vor jede wirkliche Veränderung. Deshalb stellt sich für alle Zuständigen und Verantwortlichen die vordringliche Aufgabe, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass sich Schule und Unterricht, Lehrer und Verwaltungen offener und innovativer als bisher mit den sich ständig wandelnden Bedingungen auseinandersetzen, um mit ihnen Schritt halten zu können. Dazu gehört: weg vom Gängelband des
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