Und dennoch
bleib auf deinem Mist. Lass die andern Freiheit singen, düngen geht vor allen Dingen.
In einem Erdkundelehrwerk konnte ich lesen:
Unter kluger Leitung sind die Schwarzen meist gutmütig, fleißig und treu. Die bäuerlichen Schwarzen … führen eine sehr primitive Lebensweise … Die Eingeborenen sind allein nicht fähig, die Naturschätze Afrikas auszuwerten, deshalb sind sie zu Recht zu 90 Prozent Kolonien.
Und in Rechenbüchern:
Deutschland verlor im Ersten Weltkrieg zwei Millionen Soldaten. Wie lang wäre der Zug der Toten, wenn jeweils vier in einer Reihe stehen würden und die Reihen im Abstand von 60 Zentimetern … Wie lang wird der Zug und wie weit reicht er von deinem Heimatort aus?
Das sind nur wenige Kostproben, sie sind jedoch für die damaligen Lerninhalte charakteristisch. Aber abgesehen vom desolaten Unterrichtsstoff waren auch die äußeren Bedingungen katastrophal: Klassenstärken mit mehr als sechzig Kindern waren keine Ausnahme, die täglichen Schulstunden wurden oftmals in zwei
oder drei Schichten abgehalten, meist in beschädigten Gebäuden und ohne Pausenbrote (die Quäker-Speisung gab es erst ab 1946). Viele der Mädchen und Jungen kamen aus zerstörten Familien mit gefallenen, in Gefangenschaft geratenen oder aus dem Krieg zurückgekehrten Vätern, die in verzweifelter Angst darüber lebten, was nun aus ihnen werden würde.
Protokoll über die Bildungsmisere
Noch vor Gründung der Bundesrepublik stellte sich heraus, dass es notwendig war, die unterschiedlichsten Vorstellungen von Schulpolitik in den Bundesländern der westlichen Besatzungszonen zu koordinieren. Zu diesem Zweck wurde 1948 die Kultusministerkonferenz der Länder gegründet, zudem wurde vom Bundespräsidenten Heuss ein Ausschuss für das deutsche Erziehungswesen berufen, der mit hoch qualifizierten Mitgliedern besetzt war, die allerdings keine Bildungsexperten waren, weshalb ihre Empfehlungen zwar in der Sache gelobt, aber nicht konkret umgesetzt wurden. Ihre Expertisen verstaubten alsbald in den Archiven. Daraufhin ging es mit elf Konzepten für damals elf Bundesländer weiter, ohne dass man sich auf gemeinsame Reformvorstellungen einigen konnte.
Die Bildungspolitik in den jeweiligen Ländern entwickelte sich unkoordiniert und im Rückwärtsgang, bis im November 1963 in der protestantischen Wochenzeitung Christ und Welt eine vierteilige Artikelserie von Georg Picht über Die deutsche Bildungskatastrophe erschien, die die Nation — vorübergehend — aufschreckte. Sie handelte von den Defiziten in sämtlichen Bildungsbereichen, vom bevorstehenden Akademikermangel und vom Mangel an weiterführenden Schulen und Schülern, vor allem außerhalb der Städte.
Georg Picht war nicht nur Pädagoge, sondern auch Altphilologe und wurde einerseits als Augenöffner und Hoffnungsträger begrüßt, andererseits von konservativen Politikern alsbald angegriffen
und diffamiert. Er wolle ein »akademisches Proletariat« züchten, hieß es, obgleich damals nicht einmal zehn Prozent eines Jahrgangs das Abitur machten, darunter nur etwa ein Drittel Mädchen. Zwar war schon am 5. September 1957 auf Initiative von Bundespräsident Theodor Heuss ein Wissenschaftsrat zur Planung von Hochschul- und Universitätsreformen gegründet worden, womit er neuerlich versucht hatte, auf die zerklüftete Bildungspolitik Einfluss zu nehmen. Das würde sich heute kein Bundespräsident mehr trauen. Aber das Bildungssystem blieb im Kern unverändert, selbst als es dank Georg Picht in Bewegung geriet und eine Reihe neuer Universitäten gegründet wurde.
1966 der zweite Anlauf: Der Deutsche Bildungsrat wurde gegründet, diesmal unter Beteiligung der Bundesländer, wieder mit hoch qualifizierten Experten besetzt. Seine Empfehlungen sind noch heute ein Ruhmesblatt – nicht umgesetzter – Reformvorschläge, wie Kindergärten, Ganztagsschulen und »lebenslanges Lernen«. Leider wurde der Bildungsrat im Laufe der Zeit insbesondere von konservativen Bundesländern – an der Spitze Bayern – zunehmend sabotiert und 1975 wieder aufgelöst. Im Ergebnis war er das bisher beste und ergiebigste Gremium, das wir bildungspolitisch je hatten. Leider gab es keine Fortsetzung. Man sollte ihn dringend wieder aufleben lassen und mit klaren Kompetenzen ausstatten. Ein ähnliches Schicksal erfuhr die 1970 eingesetzte Bund - Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung , die nach einigen Jahren guter Arbeit infolge der unsäglichen Föderalismusreform
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