Und dennoch
neuerlich eingestellt wurde. Danach gab es für fast zwei Jahrzehnte keine gesamtstaatliche Zusammenarbeit im Bildungsbereich, im Gegenteil: Es wurde dem Bund sogar ein Finanzierungsverbot für Bildungsprojekte auferlegt.
Doch zurück zum Aufbruch der sechziger und siebziger Jahre. 1965 war das Buch Bildung ist Bürgerrecht erschienen, ein großartig begründetes bildungspolitisches Plädoyer des Soziologen Ralf Dahrendorf: Bildung müsse, so postulierte er, in einer
demokratischen Gesellschaft ein Bürgerrecht sein, das jedem jungen Bürger »chancengerecht« zuteilwerden müsse. Davon konnte damals in der Bundesrepublik, vor allem mit Blick auf Mädchen und »Arbeiterkinder«, keine Rede sein. Das Buch und das Engagement des Autors fanden große Zustimmung und gaben der politischen Diskussion neuen Auftrieb. Doch selbst diese viel beachteten Thesen fanden in der Schulwirklichkeit keinen nachhaltigen Niederschlag, und durch die mangelhafte föderalistische Zusammenarbeit der Länder verlor die Bundesrepublik auch international den Anschluss an neue Entwicklungen.
Spätestens im Jahr 2002, beim erschreckend schlechten Abschneiden im ersten PISA-Test, offenbarte sich das ganze Ausmaß jahrzehntelanger Versäumnisse und Rückstände. Im internationalen Vergleich war Deutschland unteres Mittelmaß.
Seither begann eine Art Aufholjagd, die die Bundeskanzlerin Angela Merkel im Juni 2008 dazu bewog, unter Ausrufung einer Bildungsrepublik gemeinsam mit den Ministerpräsidenten der Länder eine Zusammenarbeit auf den Weg zu bringen. PISA wurde zur nationalen Prestigefrage, was eigentlich weder im Sinne der weltweit angelegten Vergleichsstudie war noch ihrer Bedeutung entspricht.
Das Ringen um Schulreformen
Es ist eine seltsame Erfahrung, wenn man sich als Politikerin ein Wirkungsfeld auswählt, das so ganz und gar nicht spektakulär ist, eigentlich nur Eltern interessiert, solange ihre Kinder zur Schule gehen, und Lehrer, solange ihr Beruf angesehen und gut bezahlt ist. Weshalb also Bildungspolitik? Damit sei doch für einen Politiker »kein Blumentopf zu gewinnen«, sprich keine Karriere zu machen, und das noch dazu in Bayern als Abgeordnete einer stets um ihre Existenz ringenden Fünf-Prozent-Partei.
So oder so ähnlich hatten mir wohlmeinende Kollegen seit
den fünfziger Jahren von meinem bevorzugten Engagement abgeraten. Weshalb also? Ganz einfach, weil ich überzeugt war, dass Demokratie und Freiheit in unserem Land nicht gelingen würden, sollten wir die Indoktrination unseres Gemeinwesens durch den Nationalsozialismus nicht aus der Welt schaffen – und das musste beziehungsweise konnte nur durch reformierte Erziehung und Bildung buchstäblich von Kindesbeinen an gelingen.
Meine eigene Laufbahn als Bildungspolitikerin begann 1950 mit meiner Wahl in den Bayerischen Landtag. Ich wurde von meiner Fraktion zur schul- und bildungspolitischen Sprecherin bestimmt und geriet als junge Liberale alsbald in ein Wespennest. Tapfer stritt ich gegen die damals wieder eingeführte Prügelstrafe in den Schulen , körperliche Züchtigung genannt – sie blieb aber bis in die siebziger Jahre hinein legal. Zudem lernte ich die strikte konfessionelle Trennung von Schülern und Lehrern kennen, die sich in der Lehrerbildung und Schulbürokratie fortsetzte. Sie wurde bis hin zu separaten Fahrradkellern und Salzfächern in Schulküchen praktiziert. Es handelte sich dabei um ein veritables »konfessionelles Apartheidsystem«. Weiterhin kämpfte ich gegen die Nichtaufnahme von Mädchen in staatliche Gymnasien, die ausschließlich auf städtische oder konfessionelle Schulen verwiesen wurden und zumeist mit der mittleren Reife ihre Schullaufbahn beendeten. Auch wehrte ich mich gegen die Entlassung von Lehrerinnen, sobald ihre Männer aus der Gefangenschaft in den Staatsdienst zurückkehrten.
Kurz und gar nicht gut: Das bayerische Schulsystem entwickelte sich nicht weiter, sondern zurück. Die Zahl der ein- und zweiklassigen Zwergschulen, in denen immer alle Jahrgänge von der ersten bis zur achten Klasse von einem Lehrer in einem Klassenzimmer unterrichtet wurden, nahm rasant zu bis zu 8000; Schulbusse wurden als »unsittlich« verboten. So ergab sich ein riesiges Gefälle zwischen den Bildungschancen für Stadt- und Landkinder, letztere besuchten meist nur sieben, später acht Jahre die Volksschule. Als ich das im Landtag mit selbst gebastelten Schaubildern und Statistiken veranschaulichen und damit die
großen Ungleichheiten
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