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Und dennoch

Und dennoch

Titel: Und dennoch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hildegard Hamm-Bruecher
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globalen Katastrophen. Es ist sehr zu hoffen, dass es auch auf diese Entwicklungen wieder liberale Antworten geben wird – mit oder ohne eine Partei, die ständig am Existenzminimum laborieren und taktieren muss.

    Bild 3
    Meine Familie als Lebensbegleiter – auch zur Kandidatur zum Bundespräsidenten (Erwin, Miriam Verena und Florian Hamm).

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»Und dennoch …« Über die letzten zwei Jahrzehnte, Ausblicke
    Rente mit Neunzig
    Zwanzig Jahre nach meinem Rückzug aus der aktiven Politik wird es Zeit, meine politische Lebensbilanz abzuschließen. Seit 1991 bin ich nun bereits ohne offizielle Verpflichtungen, verstehe mich jedoch als Bürgerin und Zeitzeugin in freiwilligen Diensten. Zwanzig Jahre sind eine lange Zeit, während der sich viel verändert hat, persönlich wie politisch. Regierungen haben seither gewechselt, eine schwere Wirtschafts- und Finanzkrise liegt hinter uns, spürbare Umstrukturierungen liegen vor uns. Neue Gesichter fast überall, liebe alte haben mich verlassen. Und dennoch geht das Leben weiter mit guten und schlechten Tagen, mit Freuden und Kümmernissen. Mein Mann ist im Jahr 2008 achtundneunzigjährig gestorben, und die Lücke will und will sich nicht schließen. Zwei Brüder und viele Freunde sind nicht mehr am Leben. Die Geburtsdaten von Verstorbenen, die in den Todesanzeigen von Zeitungen zu lesen sind, machen mir täglich bewusst, dass ich nun zu den ganz Alten zähle. Alles geht langsamer und ist mühsamer. Ich musste lernen, Büro, Sekretärin, Dienstwagen und Arbeitshilfen zu entbehren; lernte dafür PC, Fax und Drucker zu bedienen. Viele Trends mache ich nicht mehr mit, zum Beispiel die Aufforderung und Jagd nach immer mehr Konsum und Seniorenrummel. Mit manchen Neuerungen kann ich mich nicht mehr befreunden, so zum Beispiel mit der angeblich unverzichtbaren Nutzung von Internet, E-Mail, Facebook oder iPod. Dennoch gab und gibt es viel zu tun und manches zu unterlassen. Eigentlich war es bislang eine Art Vorruhestand, und nun erst, mit neunzig, hoffe ich auf die endgültige Rente.
    Ereignisse im Vorruhestand: Die Kandidatur zum Amt des Bundespräsidenten
    Die Jahre bis zur Jahrtausendwende brachten noch keinen Abschied von der Politik. Da war zunächst 1993/1994 meine Kandidatur zum Amt des Bundespräsidenten. Hans-Dietrich Genscher hatte eine Kandidatur abgesagt, weil die CDU einen eigenen Anwärter aufstellen wollte, und damit war seine Wahl nicht mehr gesichert. Stattdessen sollte ich liberale Flagge zeigen. Dazu war ich bereit, denn ich wollte diese Chance nutzen, um zu zeigen, dass auch eine Frau gewählt werden könnte, was damals noch gar nicht selbstverständlich war. Aber worum ging es mir noch? Was hatte ich mir vorgenommen?
    Zuerst und vor allem ging es nicht um mich. Dass diese Kandidatur strapaziös, voller Fußangeln und nicht aussichtsreich sein würde, darin bestand für mich von Anfang an kein Zweifel. Es ging mir, wie ich bereits anlässlich meiner Nominierung in Magdeburg am 15. Oktober 1993 zu Protokoll gegeben hatte, um dreierlei:
Ich wollte (und will) zu überfälligen Korrekturen und Reformen in unserem demokratischen Gemeinwesen ermutigen, die Parteien und Politiker ebenso betreffen wie demokratische Institutionen, Medien und eine Bürgergesellschaft, die zwischen Gleichgültigkeit, Ohnmachtgefühlen und Zorn schwankt, – in jedem Falle ratlos ist.
Ich wollte (und will) auf dem mühsamen Weg zur Vollendung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern eine neue Etappe eröffnen, in der Frauen sich nicht damit begnügen, Mandate und Positionen zu erringen, sondern sich bewusst auch in die – nach wie vor ausschließlich männlich geprägten – politischen Denk- und Verhaltensmuster einmischen.
Nicht zuletzt wollte (und will) ich der Partei des politischen Liberalismus einen Dienst erweisen und dazu beitragen, ihr eigenständiges Profil zu stärken, weil ich überzeugt bin, dass sie in unserem Parteienspektrum gebraucht wird .
    Die neun Monate von der Nominierung bis zum Wahltag nutzte ich, um über meine Vorstellungen Rechenschaft abzulegen. Ein Wahlkampf sollte es nicht sein, wohl aber der Versuch, für neue Impulse der unter Kanzler Kohl behäbig dahindümpelnden Demokratie zu werben.
    Bei Umfragen waren meine persönlichen Zustimmungswerte immerhin beträchtlich höher als die des CDU-Kandidaten Roman Herzog. Aber natürlich erhielt er, allerdings erst im dritten Wahlgang, die Mehrheit der Wahlmännerstimmen. Kohl hatte den Rückzug meiner Kandidatur

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